Konzert des Dresdner Kammerchores
Bei fabelhaften Wetter (und zahlreichen Alternativen, Dresden singt und musiziert bot zur gleichen Stunde ebenfalls Chormusik) luden Hans-Christoph Rademann der Dresdner Kammerchor am Sonnabend zu seinem Frühjahrskonzert in die Dresdner Annenkirche. Das Programm mochte zunächst aussehen wie manche andere des Chores – sowohl Johann Hermann Schein als auch Arvo Pärt stehen regelmäßig im Programm, Johann Sebastian Bach selbstredend ganz zentral. Und daß sich im Programm ein Jubiläum versteckt (Scheins 1623 erschienenes »Israelsbrünnlein«), war noch nicht so besonders. Besonders wird Musik sowieso erst mit der Aufführung. Und darin fand der Dresdner Kammerchor erneut seine Stärke.

Frühlingskonzert des Dresdner Kammerchores in der Annenkirche, Photo: Dresdner Kammerchor, © Joschua Vlasanek
Der geschlossene Eindruck fand seine Entsprechung im Klang des Chores wie der Programmfolge mit symmetrischem Ablauf: zwischen je vier Madrigalen aus dem Israelsbrünnlein stand Johann Sebastian Bachs Motette »Jesu meine Freude« (BWV 227), umschlossen wurden diese jeweils von einem Basso continuo begleiteten Werke von a-cappella-Stücken Arvo Pärts. Pärt stand damit sozusagen für eine Überleitung aus und wieder in unsere Zeit, und doch schien selbst der 400 Jahre zurückliegende Johann Hermann Schein ganz nahe.
Mit einer leichten Überzahl in den Sopranen (sechs statt der in den anderen Stimmgruppen vier) schwebte Arvo Pärts »I am the true vine« (nach Johannes »Ich bin der wahre Weinstock«), an sich ein (an den Glauben) gemahnender, auffordernder Text mit ungeahnter, zugänglicher Leichtigkeit. Den Chorverbund löste Pärt dabei teils auf, läßt weit entfernte Einzelstimmen herausgenommene Worten bzw. Zeilen betonen. Und doch vermittelte der Kammerchor, wie sich diese Gemeinschaft trotzdem mehr und mehr stabilisierte. Im abschließenden Nunc dimittis, das von Beginn die Oberstimmen betont und »abzuheben« schien, verteilten sich die Anfangssequenzen auf der Klangfolge von Glockentönen und belebten sich im abschließenden Amen.
Zwischen diesen modernen, teils meditativen Klängen wirkte der Kontrast der weitaus affektiveren Musik von Schein um Bach um so mehr – der zeitliche »Abstand« zu ihnen war ohne Belang. Die Geschlossenheit des Chores blieb mannigfaltig und schien nicht statisch oder kompakt. So fokussierte er in »Lehre uns bedenken« auf den Begriff »Herr« (als Basis, auf die man bauen kann) und ließ »wollen wir rühmen und fröhlich sein unser Leben lang« in der daraus folgenden Zuversichtlichkeit wachsen. Daraus ergaben sich ebenso Kontraste, wenn zum Beispiel nach einem derartigen Schluß in »Siehe, nach Trost war mir sehr bange« das nächste Madrigal (»Die mit Tränen säen«) in Verzagtheit begann.
Johann Sebastian Bachs Motette BWV 227 ist zwar viel gehört, doch ihr Wechselspiel in Versen und Stimmen erreicht nach wie vor zuverlässig seine Hörer, vor allem, wenn sie so in Ausgewogenheit passiert und in den Solisten überzeugt. Laura Keil, Katharina Salden, Clara Bergert, Delia Moriabadi, András Adamik und Carl-Benedict Schlegel konnten in Ausdruck und Einfühlungsvermögen in ihren Soli dem Chor gleichermaßen gegenüberstehen, wie sie teils im direkt folgenden Vers wieder darin eingeschlossen waren. Gerade darin, daß nicht alles im Gleichmaß blieb, lag viel Schönheit und musikalischer Reiz. So begann Johann Hermann Scheins »Ihr Heiligen lobsinget« im Schimmer der Altistinnen.
Mit Knut Nystedts »Peace I leave with You« als Zugabe verabschiedete der Kammerchor sein Publikum in den Frühlingsabend.
28. Mai 2023, Wolfram Quellmalz
Auch im nächsten Konzert des Dresdner Kammerchores stehen sich klassische, moderne und zeitgenössische Kompositionen gegenüber: »ZentralVokal II«, 11. Juli, 19:30, Zentralwerk