Hagen Quartett mit Mozart und Schostakowitsch
Manches kann man getrost »gute alte Quartettschule« nennen, ohne daß es despektierlich gemeint wäre: Die Szene erfährt (glücklicherweise) wieder eine Aufwertung durch zahlreiche und hochwertige junge Ensembles. Jugendliche Frische wird oft mit präsentierter Energie vermittelt, auch die nachvollziehbare Kommunikation innerhalb eines Quartetts beim Spielen scheint en vogue – zwingend erforderlich ist sie keineswegs. Denn in den meisten Fällen vollzieht sich der Austausch zwischen den Spielern fast unbemerkt.
Es war richtiggehend wohltuend, am Sonnabend im Palais im Großen Garten das Hagen Quartett zu erleben, das auf überflüssige Merkmale der Darstellung vollkommen verzichtete. Statt dessen war es von Beginn ganz konzentriert und der Musik hingegeben. Die Tempi wirkten zunächst gemächlich. Doch wie ein Besucher meinte, den dies anfangs irritiert hatte: »Wenn man sich darauf einläßt …«

Hagen Quartett, Photo: © Harald Hoffmann
Genau! Man ließ sich ja darauf ein, auf das Erleben während der Dresdner Musikfestspiele, wenn das Palais im Großen Garten wieder zum Musikort wird. Wolfgang Amadé Mozart stand mit gleich zwei Quartetten im Programm, den »Schwestern« Nr. 14 (KV 387) und 15 (KV 421). Sie rahmten den Abend sozusagen symmetrisch, denn die Binnensätze sind in KV 387 vertauscht. Aber um Symmetrie oder Maß ging es Lukas Hagen und Rainer Schmidt (Violinen), Veronika Hagen (Viola) und Clemens Hagen (Violoncello) wohl weniger.
Wohl um so mehr um Gesang, mit dem Mozarts Allegro vivace assai beginnt. Der etwas herausgehobenen ersten Violine mit ihren Koloraturen stand ein geschmeidig-dunkles Trio gegenüber, immer wieder erwies sich gerade die Viola als »Stütze«. Spätestens beim Adagio waren die Zuhörer »drin«. Mit dem langsamen Satz an dritter Stelle ließ sich das Hagen Quartett viel Zeit, dehnte den Spannungsfaden, ohne daß dieser riß.
Die Gegenüberstellung des zweiten Quartetts nach der Pause war also gewollt und passend gewählt. Die geschlossene Quartettgesellschaft der Zuhörer konnte nun die Seele »baumeln« lassen, jedoch mit ganzer Aufmerksamkeit, und erleben, wie Mozart im Andante von KV 421 die Musik über die Form erhebt (oder den Kontrapunkt überwunden zu haben scheint). Das muntere Menuett – in der Behandlung der alten Satzform waren sich Mozart und sein Widmungsträger Haydn nahe – ließen die Hagens eine Fontana di musica sprudeln.
Zuvor, im Zentrum des Abends, hatte Dmitri Schostakowitschs Streichquartett Nr. 14 (Fis-Dur, Opus 142) gestanden. Auch das ist Teil der »guten alten Schule«, daß nicht eines der berühmten Quartette (etwa das achte) gespielt wurde. Die differenzierte Wiedergabe setzte vielfältige Emotionen frei, denn Schostakowitsch scheint nach verhangenem Beginn zunächst fröhlich, doch sind viele Klänge nicht eindeutigen Gefühlen zuzuordnen. Gerade darin, diese Fragwürdigkeit zu bewahren, zeigte sich das Hagen Quartett groß! Denn nicht in der Geschlossenheit war der Spannungsbogen zu finden, sondern in Komplexität und Übergang. Schostakowitsch läßt den Quartettverbund oft geradezu zerfallen, verlagert den Schwerpunkt (Debussy hätte ein solches Quartett wohl Sonate genannt). Großartig gelang das Wechselspiel zwischen der den rhythmischen Impuls vorgebenden Viola und dem kantablen Violoncello – selbstverständlich wurden die Rollen bald neu verteilt.
Was die so unterschiedlichen Werke verband: keines endet mit einem betonten Schlußakkord, alle drei klangen sacht aus oder verloschen. Da hätte es fast keiner Zugabe bedurft, aber eine mußte doch sein: ein Allegro aus KV 428.
4. Juni 2023, Wolfram Quellmalz