Gänse erzürnt über Schostakowitsch

Serenata di Moritzburg

Die Lange Nacht der Kammermusik gehörte zu den Höhepunkten des Moritzburg Festivals (MBF) und war eine großartige Gelegenheit für die Moritzburg Akademie, sich in bis zu fünfzehn immer wieder neu gebildeten Ensembles dem Publikum vorzustellen. Viele Jahre wurde sogar ein Preis ausgelobt – von 19:00 bis nach 23:00 Uhr eine wahrlich »lange Nacht«! Diesmal wurde das Format geändert. Schade – in dieser Vielfalt erlebt man die Akademie nur noch beim Proschwitzer Picknick am kommenden Sonntag, dort allerdings in lockerer Atmosphäre und nicht der konzentrierten Dichte. Trotzdem muß man der Formatänderung an sich zugestehen, daß sie gelungen ist: Nun als Serenade auf etwa die Hälfte gerafft, überzeugte die Werkauswahl incl. eines Moritzburger Originals.

Denn gleich das erste gab dem Programm seinen Namen: nicht allgemein »Serenade« hieß es, sondern konkret »Serenata di Moritzburg« nach Johann David Heinichens gleichnamigem Stück. Zu Heinichen Lebzeiten gar nicht gedruckt, ist es in den letzten Jahren in den Werkkanon aufgerückt und erklang nun (vermutlich) zum ersten Mal am Schloß – die Uraufführung 1719 hatte drinnen stattgefunden.

Das Kammerorchester der Moritzburg Akademie spielte nicht unter der Leitung eines Dirigenten (Josep Caballé Domenech ist in dieser Funktion wieder bei »Moritzburg für alle« am 19. August im Kulturpalast zu erleben), sondern wurde – wie es sich für eine Serenade gehört – von der ersten Violine (Hans Henning Ernst) angeführt. In sieben Sätzen ging es zur musikalischen Jagd – am gefährlichsten dürften jedoch die halsbrecherischen Hornpassagen gewesen sein! Die Sarabande entführte wie das reizvolle Andante amabile die Zuhörer in die elegante Welt des Balletts – ein wunderbarer Beginn!

Friedliche Musikstörer: Gänse vor Schloß Moritzburg. Photo: NMB

Wolfgang Amadé Mozarts Quintett Es-Dur, KV 452, ist nicht nur ein superbes Stück der Kammermusikliteratur, es ist schon in seiner Besetzung ungewöhnlich, denn dem Klavier (Nikolaus Branny) standen nicht Streicher, sondern Bläser (Pedro Pereira de Sá / Oboe, João Almeida / Klarinette, Esther Trujillo Sánchez / Fagott, Roxana Mondragón / Horn) gegenüber. Sie verführten das Publikum mit einem Meisterstück, das dialogisch einmal Klavier und Bläser, dann hohe und tiefe Stimmen gegenüberstellt (zwischendrin schien das Adagio der Gran Partita durchzuklingen), solistische Hervorhebungen gewährt und schließlich alle wieder harmonisch bindet. Die exzellente Akademistenleistung hätte im Saal oder in der Kirche wohl noch feiner gewirkt.

Immerhin waren mit Mozart alle zufrieden, während die Gänse – längst war es nach neu und Schlafenszeit – bei Dmitri Schostakowitschs Präludium und Scherzo Opus 11 schnatternd Reißaus nahmen. Im Streicheroktett nun hinter Nathaniel Strothkamp vereint, erwachte das Präludium voller Energie, aber mit Fragilität. Das Scherzo durfte lustig-derb hüpfen, kam aber auch in der Gesanglichkeit, gerade in den Celli (Alejandro Gómez Pareja und Claire Park), nicht zu kurz.

Mit einem »ziemlich groß besetzten Kleinod«, wie Hans Henning Ernst (wieder 1. Violine) bemerkte, gleichzeitig noch ein Entdeckerstück, schlug das Programm den Bogen zurück zur Serenade. Bei Reinhold (Moritzewitsch) Glière wird sie allerdings romantisch ausgeführt. Glière kannte viele Länder und Komponisten Europas, war als Lehrer aber auch selbst prägend, und so durfte man ein wenig Dvořák oder Schubert in seinem Streichoktett D-Dur heraushören, ohne daß das Werk seinen eigenen Charakter verlor, das mußten selbst die am anderen Teichufer schimpfenden Gänse zugeben. In der Geschmeidigkeit gab das Akademistenoktett einen Ausblick auf Mendelssohns Opus 20, mit dem das MBF in gut einer Woche schließen wird, vor allem aber rückte es einen Komponisten ins Rampenlicht, bei dem es weit mehr zu entdecken gibt als ein paar Orgelstücke oder ein Harfenkonzert!

11. August 2023, Wolfram Quellmalz

https://www.moritzburgfestival.de

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