Unterschiedliche Ebenen der Erinnerung

Elbland Philharmonie startet mit Krätzschmar und Bruckner in die neue Spielzeit

Das eine Werk erinnerte ganz bewußt an ein historisch belastetes Datum, den 90. Jahrestag des Beginns der Bücherverbrennungen in Deutschland 1933. Dem anderen war kein solches Gedenken und Mahnen aufgebürdet, doch hat auch Anton Bruckner aus Eindrücken, Erfahrungen und Erinnerungen geschöpft.

Am Beginn der Spielzeit in der Marienkirche Pirna setzte die Elbland Philharmonie Sachsen manches fort, was sie in den letzten Jahren dort schon gepflegt hat, wie eben die Aufführung von Bruckner-Sinfonien. Am frühen Donnerstagabend war es die dritte in ihrer Urfassung. Zählte man alle annullierten Sinfonien, Vorgänger, Sätze und Fassungen einzeln, käme der Komponist gar auf 21 statt neun Sinfonien. Das (Zählen) wäre nicht unbedingt sinnig – die verschiedenen Versionen zu vergleichen, lohnt jedoch immer. Oftmals gelangt man im Zuge der Rückbesinnung an einen Ursprung.

Der Komponist Wilfried Krätzschmar, Photo: Sächsische Akademie der Künste

Die Rückbesinnung galt im ersten Konzertteil jedoch einem ganz anderen Gegenstand. Wilfried Krätzschmar feiert im März seinen 80. Geburtstag und gehört ungeachtet eines Alters, in dem andere den Ruhestand genießen, nach wie vor zu unseren umtriebigsten und vitalsten Komponisten. Immer wieder fällt auf, wie stark er sich mit Texten auseinandersetzt. Schon im vergangenen Jahr führte die Elbland Philharmonie Sachsen einen von Wilfried Krätzschmars »Gesängen für Bariton und Orchester« auf, Chefdirigent Ekkehard Klemm gab in seiner Begrüßung bereits so viel Ausblick, daß die Reihe im kommenden Jahr abgeschlossen werden soll. Diesmal stand der Zweiter Gesang »Über das Verbrennen von Büchern« nach Texten von Erich Kästner mit Bariton Andreas Scheibner als Uraufführung auf dem Programm.

Der Text »Seit Bücher geschrieben werden, werden Bücher verbrannt …« gehört zu Kästners bekanntesten in dieser Art. Er ist heute noch (oder wieder) treffsicher und klar verständlich, muß nicht über eine »Brücke der Vergangenheit« verdeutlicht werden, und doch ist es wichtig, Historie und realen Bezug zu uns heute zu unterscheiden. Dieser Anteil liegt beim Zuhörer, daher ist es um so besser und tatsächlich schöner (trotz des ernsten Themas), wenn die Verständigung auch als Verständlichung gelingt. Andreas Scheibner vermochte die Worte klar und ohne Pathos zu übertragen, die parallele Konzentration auf den Worttext und die begleitende Musik gelang mühelos. Zu Beginn noch sorgte das Orchester für eine Untermalung, aufflammend gleißende Akkorde im Hintergrund (vor allem Bläser und Schlagwerk) wirkten fast illustrativ, jedoch nicht übermäßig stark. Mit der vierten Strophe, die sich an den Leser bzw. Hörer wendet (»Man darf nicht warten«) wechselt die Begleitfunktion (erneut mit den Betonungen vor allem bei Bläsern und Schlagwerk), unterstreicht jetzt die Mahnung, fokussiert die tonal gleichförmige Schwebung der letzten Zeile (»Die Mahnung gilt. Hier. Heute. Immer. Und überall.«)

Anton Bruckners Erinnern geht weit über das Erleben von Opern Richard Wagners hinaus. In kurzen Verweilmomenten lassen sich gar Mendelssohn (erster Satz) oder Händels »Messiah« (zweiter) ausmachen. In der Urfassung von 1873 ist die dritte Sinfonie d-Moll (WAB 103) noch ein wenig kolossaler, vor allem weitschweifiger. Die Elbland Philharmonie Sachsen band sie strukturell trotzdem eng und differenziert, vermied mit luftigen Streicherfiguren einen allzu monumentalen Eindruck. Ekkehard Klemm brachte sie sozusagen auf den Punkt, wenn sich Motive oder Soli trafen, in manchen, vor allem den langsamen Passagen, riß der Spannungsfaden jedoch in den Generalpausen, deren Zäsur ein paarmal (angesichts der langen Distance) wie eine Unterbrechung wirkte. Das änderte aber nichts am »aufregenden, avantgardistischen« (Klemm) Duktus des Werks.

8. September 2023, Wolfram Quellmalz

Noch einmal mit anderem Programm: Elbland Philharmonie Sachsen, Ekkehard Klemm (Dirigent), Sabine Kittel (Flöte), Christuskirche Freital-Deuben, 17:00 Uhr: Konzert für Flöte, Streichorchester, Klavier, Harfe und Schlagzeug von Jindřich Feld, Anton Bruckners 3. Sinfonie

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