Wiederhören macht Freude!

Musikbrücke Prag – Dresden startet in die neue Spielzeit

Endlich war es soweit – am Freitag kehrte das Collegium 1704 nach Dresden zurück. Diesmal allerdings nicht in die Annenkirche, auch nicht ins frühere Ausweichquartier Dreikönigskirche, sondern ein anderes Gotteshaus, eines, das musikhistorisch für Dresden bedeutsam ist: die Lukaskirche. Hier entstanden viele legendäre Aufnahmen der Sächsischen Staatskapelle, unter anderem unter der Leitung von Herbert von Karajan (»Meistersinger« mit Rene Kollo und Theo Adam). Der Grund für den Ortswechsel liegt – wie später in der Spielzeit noch einmal – im Programm. Denn das Collegium kam einmal ohne seinen fabelhaften Chor, spielte sinfonisches von Jan Václav Hugo Voříšek und das erste Klavierkonzert von Frédéric Chopin.

Chopin und das Collegium 1704 – die Jahreszahl weist schließlich in die Zeit der Alten Musik zurück – geht das? Manche Musikfreunde waren skeptisch, einige kamen tatsächlich nicht. Zwar gut besucht, war es am Ende nicht so viel Konzertpublikum wie sonst in der Annenkirche – am Vortag in Prag waren 1700 (!) Zuhörer dabeigewesen!

Chopin stand diesmal tatsächlich nicht wenig im Mittelpunkt und – dramaturgisch eigentlich nicht glücklich – am Schluß des Programms. Der Solist und Gast konnte nur wenige Tage vor dem Konzert bekanntgegeben werden, denn Eric Guo (Toronto) erspielte sich erst am letzten Sonntag den 1. Preis beim Internationalen Frédéric-Chopin-Wettbewerb für historische Instrumente in Warschau. Dort hatte Václav Luks in der Jury gesessen und die Finalisten und Preisträger mit dem {oh!} Orkiestra begleitet. In Dresden trafen sich die Solist und Dirigent also (schon) wieder und bewiesen ein großes Einfühlungsvermögen. Quasi als dritten im Bunde darf man den Flügel bezeichnen, eine Kopie aus der Prager Werkstatt von Paul McNulty nach einem Original von 1830 (Ignace Pleyel & Comp.ie). Eric Guos stellte seine vorzügliche Fähigkeit unter Beweis, auf historischem Instrumentarium zu spielen, Eigenheiten und Eigenschaften zu erkennen und in sein Spiel aufzunehmen (statt zu versuchen, den gewohnten Klang eines modernen Flügels nur zu übertragen). Der Pianist überzeugte nicht nur mit geläufiger Virtuosität, sondern mit einem beispielhaften Piano. Typisch für historische Flügel ist, daß sich ihr Klangcharakter über die Oktaven zu verändern scheint, daß sie »unten« nicht nur in der Tonhöhe, sondern außerdem in der Klangfülle oder Gesanglichkeit anders klingen als »oben«. Eric Guo wußte dies in seinem Spiel für die Gestaltung von Melodie- bzw. Oberstimme und (Baß)begleitung einzusetzen. Das zeigten auch die vier (!) Zugaben aus dem Reich der Étuden, Nocturnes und Walzer Frédéric Chopins. Wer erwartet hatte, daß der Pianist nach der intensiven Zeit des Wettbewerbs »chopinmüde« sei, wurde vom Gegenteil überzeugt. (Wer sich davon überzeugen mag, hat dazu heute abend in Prag bei einem Rezital »Fryderyk!« mit Eric Guo im Kulturzentrum Vzlet Gelegenheit.) Václav Luks hatte sich mit seinem Collegium 1704 nicht nur in Chopin hineingefühlt, sondern dem Solisten auch denkbar flexibel zur Seite gestanden – die Piani fanden im Orchester einen sanften Wiederhall.

Applaus auch vom Dirigenten: Eric Guo nach dem Konzert in der Lukaskirche mit dem Collegium 1704, Photo: NMB

Etwas typischer für das Collegium und (in bezug auf das Werk) zugegeben spannender war die zu Konzertbeginn gespielte Sinfonie D-Dur Opus 23 von Jan Václav Hugo Voříšek. Um dem Programmhefttext, wonach Musikkritiker zwecks der Einordnung oft die Tendenz hätten, Beziehungen zwischen wenig bekannten böhmischen Komponisten und berühmten ausländischen Zeitgenossen zu suchen, noch eins draufzusetzen: Jan Václav Hugo Voříšek kling nicht nur wie ein böhmischer Schubert (Konzertankündigung), man findet bei ihm viele Anklänge der Zeit – von Haydn, Mozart und Beethoven – und darüber hinaus. Ein Scherzo (3. Sinfonie) der in letzter Zeit viel gespielten Louise Farrenc scheint wie von Voříšek inspiriert!

Vergleiche und Zuordnungen dürfen jederzeit sein, soweit sie nicht einengen. Die Fülle der möglichen Bezüge bei Jan Václav Hugo Voříšek scheint fast unbegrenzt, schlicht weil sich der Einfallsreichtum des Böhmen als überwältigend, seine sinfonisches Werk als außerordentlich und die musikantische Wiedergabe des Collegium 1704 als glänzend erwies! Geht man allein nach dem Werk, hat Voříšek am Freitag Chopin glatt den Rang abgelaufen. Schon deshalb kann man nur hoffen, daß Václav Luks seine Entdeckungsreise fortsetzt, solche Werke (und auch dieses!) wieder mit nach Dresden bringt.

22. Oktober 2023, Wolfram Quellmalz

Václav Luks und das Collegium 1704 bereiten eine neue Aufnahme mit Georg Friedrich Händels Wassermusik und Feuerwerksmusik vor und suchen Unterstützer.

Ergebnisse, Videos und mehr vom Chopin-Wettbewerb finden Sie hier:

https://iccpi.pl

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