Domkantor Albrecht Koch beim Dresdner Orgelzyklus
Es gibt Werke, die man getrost »epochal« nennen kann. Im Œuvre Olivier Messiaens gehört mit Sicherheit vieles dazu. Seine Stücke auf einer Konzertsaalorgel zu erleben, kann gerade wegen ihrer sinfonischen Anlage lohnen. Zudem vermag der Saal des Dresdner Kulturpalastes auch zusätzliches Publikum anzuziehen. Am Mittwoch kehrte der Dresdner Orgelzyklus wieder einmal hier ein.
Domkantor und -organist Albrecht Koch legte zunächst aber Johann Sebastian Bachs Präludium und Fuge c-Moll (BWV 546) auf und entfachte im wuchtigen Präludium einen großen Donner, der sich mit kontrapunktischen Läufen abwechselte. Die Fuge schien im Vergleich dazu keine Steigerung, sondern eine Verfeinerung, bei der man jede einzelne Orgelstimme hören konnte. Vielleicht ein Indiz dafür, daß die beiden Werkteile nicht gemeinsam entstanden, sondern aus unterschiedlichen Lebensjahren stammen (Präludium: wahrscheinlich Leipzig zwischen 1723 und 1750, Fuge: mutmaßlich Weimar 1708 bis 1717). Mit dem (BWV 668) fügte Albrecht Koch noch ein Werk an, das hier im Konzertsaal zumindest für jene ganz ungewohnt wirkte, die Orgelmusik regelmäßig in der Kirche, vielleicht sogar im Gottesdienst, hören.

Genaugenommen ist auch Olivier Messiaens »Apparition de l’Église éternelle« (Erscheinung der ewigen Kirche) ein sakrales Werk oder zumindest eines mit sakralem Bezug. Rein musikalisch betrachtet jedoch entspricht es einer Sinfonie, freilich einer, die nicht vom Orchester, sondern auf der Königin der Instrumente gespielt wird. Albrecht Koch offenbarte die Sinfonie als ein Kunstwerk, daß nicht nur Licht (bzw. die Erscheinung oder das Auftreten des Lichtes) in sich trägt, was als visuelle Erfahrung ebenso wie im metaphysischen Sinn aufgefaßt werden kann – die außerordentliche Expressivität von Messiaen scheint gerade hier danach zu verlangen, sich in anderen Formen zu spiegeln, sei es skulptural in der Bildenden Kunst oder figürlich im modernen Ausdruckstanz. Was nicht bedeutet, daß man es unbedingt in der Aufführung miteinander verbinden muß – Messiaens Imagination, wie sie Albrecht Koch präsentierte, genügt auch so! Das Licht bzw. die Farben wurden nicht nur in Graden deutlich, sie wuchsen in Stufen, von einem lebendigen Baßimpuls unterstützt.
Der Eindruck war so stark, daß er »Apparition de l’Église éternelle« im nachhinein auf die gleiche Stufe stellt wie Sigfrid Karg-Elerts Orgelsinfonie fis-Moll, wiewohl diese das im Umfang größte Werk des Abends war. Im Gegensatz zu Messiaen, dessen Stück Ausdruck und Wandel darstellt, besticht Sigfrid Karg-Elerts Orgelsinfonie nicht zuletzt mit ihrer Komplexität. Albrecht Koch hatte viel Gelegenheit, nicht nur sein Können, sondern auch die technischen Möglichkeiten der Eule-Orgel vorzuführen. Ob im Staccato oder mit Schwellwerk – die Verzweigungen und eine Evolution des Tons, Kontrastwirkungen wie Wandlung, waren maßgebend. In den Episoden war durchaus ein Schimmer wahrzunehmen, viel mehr aber stand die sinfonische Polyphonie im Vordergrund.
So modern, konzertant zugespitzt und konsequent wünschte man sich die Orgelkonzerte am gleichen Ort öfter – leider haben manche von ihnen einen hohen Show-Wert. Doch Albrecht Kochs eigene Zugabe, Valse mignonne von Sigfrid Karg-Elert, erschien im Vergleich (bzw. Kontrast, um ein Stilmittel des Abends aufzugreifen) eher lapidar.
23. November 2023, Wolfram Quellmalz
Das nächste Konzert des Dresdner Orgelzyklus (das vorletzte in diesem Jahr) findet am kommenden Mittwoch in der Katholischen Hofkirche statt. Dann wird Domorganist Tobias Aehlig (Paderborn) ebenfalls Sigfrid Karg-Elert spielen, aber auch Werke von Johann Sebastian Bach und Franz Liszt.