Besuch beim Collegium 1704 in Prag
Im November mußten die NMB (schmerzlich!) erstmalig seit sechs Jahren einen Konzerttermin des Collegiums 1704 in Dresden auslassen, so haben wir Claudio Monteverdis Marienvesper verpaßt. Einen kleinen Ausgleich bot ein Konzert gestern im Kulturzentrum Vzlet in Prag. Hier gab es zwar keine Marienvesper, aber andere Musik von Claudio Monteverdi.
Das gleich vorweg: die Reise hat gelohnt, wird wohl immer lohnen, schon wegen Prags faszinierender hügeliger Altstadt, die zu jeder Jahreszeit ihren Reiz hat – gestern empfing sie den Rezensenten mit Schnee. Gleichzeitig war es – nach verschiedenen Kirchen in der Stadt – der erste Besuch im Kulturzentrum Vzlet. Der 1921 im Stadtteil Vršovice errichtete Bau (ursprünglich war es das Kino des Sokol, einer tschechischen Turnerbewegung) zeigt Elemente der Moderne und des Art Deco, trägt aber ebenso weitere Spuren seines über einhundertjährigen Lebens.

Václav Luks und sein Collegium 1704 haben in dem revitalisierten Gebäude eine Heimat gefunden, in der es eine eigene Konzertreihe gibt. Nicht die großen Werke wie Opern oder die Marienvesper gibt es hier, sondern vor allem solche in kleineren oder Kammerbesetzungen. Für Cantate domino (Programmtitel) war der Chor mit je zwei Sängern pro Stimme ausgestattet und von nur zwei Violinen sowie einer großen und großartigen Continuogruppe (Orgel, Gambe, Violone, Theorbe) begleitet.
Anders als in den Konzerten der Musikbrücke Prag – Dresden standen nicht ein oder zwei abendfüllende Werke auf dem Programm, sondern mehrere kleine. Ausgewogen hatte Václav Luks vokale und instrumentale Titel kombiniert, außerdem zwei Konzerthälften zusammengestellt: der erste Teil gehörte italienischen Komponisten, im zweiten waren deutsche Texte zu hören.

Ein Unterschied und kleiner Nachteil des Saals gegenüber den Konzerten in den Kirchen ist der Nachhall, der natürlich geringer ausfällt. Außerdem gab es nach jedem Stück (wie im Konzertsaal üblich) Applaus – manchmal wäre der stille Nachklang schöner gewesen. Andererseits mußte sich gerade nach Stücken wie Domenico Mazzocchis Viri sancti (Die Heiligen) – vom Komponisten gibt es unter anderem Madrigale im überlieferten Notenbestand der Sächsischen Hofkapelle – auch die Begeisterung des Publikums Luft machen. Das war noch bei reduzierter Besetzung kaum anders. Denn wie bei Gregorio Allegris Salve Regina à 5 trat das Collegium Vocale 1704 nicht immer als geschlossener Chor auf, sondern in den Solostimmen seiner Mitglieder, die den Charakter fein auszeichneten. Noch mehr Begeisterungspotential entfaltete das Collegium allerdings im geschlossenen Kreis, zuerst mit dem Dixit Dominus (SV 264) von Claudio Monteverdi zu Beginn, später mit dem vom hymnisch vorgetragenen Beatus vir (SV 268), das ganz am Ende als Zugabe noch einmal wiederholt wurde.
Die instrumentale Qualität der Sonaten in Kammerformation, wofür Václav Luks bei Bedarf ans Cembalo wechselte, stand dem in nichts nach. Mit Konzertmeisterin Helena Zemanová und Jana Anýžová (Violinen) wuchs die Continuogruppe zur konzertanten. Und entdeckte dem Publikum Stücke wie Giovanni Legrenzis schlanke Sonata La Spilimberga oder Paolo Cimas in wunderbarer Farbenfülle dargestellter Sonata à 3.
Mit Johann Hermann Schein standen nach der Pause gleich drei affektreiche Stücke auf dem Programm: »Da Jakob vollendet hatte«, »Die mit Tränen säen« und »Lehre uns bedenken«. Gerade »Die mit Tränen säen« belebte durch Wechsel der Solostimmen wie zwischen Pavla Radostová (Sopran) und Jiří Miroslav Procházka (Baß) die Affekte mit hoher Intensität, konnten aber auch berühren. Dazu ließen sich die Unterschiedlichkeit der Stimmen schön vergleichen: Schien Pavla Radostová oft mit der Strahlkraft ihres Soprans im Zentrum zu stehen, konnte ihre »Stimmschwester« Romana Kružíková mit weicher Färbung noch inniger berühren.
In der Verständlichkeit war der Chor nicht immer auf der Höhe dessen, was man sonst gewohnt ist, im Ausdruck dagegen schon. Das erfreute gerade bei solchen sinnigen Texten wie Heinrich Schütz‘ »Feget den alten Sauerteig aus« (SWV 404 aus den Symphoniae sacrae III). »Lasset uns doch den Herren, unsern Gott, loben« (SWV 407 aus der gleichen Werksammlung) schloß das Programm ab, das ebenfalls mit zwei erfrischenden Sonaten, hier von Francesco Cavalli und Alessandro Stradella angereichert war.
Ein Besuch im Vzlet 2024 sei also ausdrücklich empfohlen!
8. Dezember 2023, Wolfram Quellmalz
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