Offene Fragen

Antonello Manacorda debütierte mit Mozart und Schönberg beim Gewandhausorchester

Im vergangenen Jahr hatten die NMB Gelegenheit, Antonello Manacorda während Konzertproben zu besuchen und mit ihm zu sprechen. Damals äußerte er sich unter anderem zu Programmzusammenstellungen, die er bevorzugt, zum Beispiel mit Werken von Mozart und Bartók oder Schönberg. In dieser Woche dirigierte der Chefdirigent der Kammerakademie Potsdam erstmalig das Gewandhausorchester in Leipzig. Dort brachte er genau so ein Programm der Gegensätze auf die Bühne.

Dabei kann man doch in Tonarten, Intervallen und ähnlichem durchaus Gemeinsamkeiten zwischen Arnold Schönberg und Wolfgang Amadé Mozart finden (oder bei Schönberg und Beethoven). Konzertdramaturgin Ann-Katrin Zimmermann nahm die Werke des Abends wieder im Vorgespräch auseinander bzw. legte solche Bezüge und geschichtliche Verläufe offen. Unter anderem auch, daß die Wiederholungen bei Mozart zu hinterfragen sind, denn manche wollte er unbedingt, andere (welche zum Beispiel eine Fuge unterbrechen) darf man jedoch in Frage stellen – waren sie ein Zugeständnis an die Gewohnheiten der Zeit oder wollte Mozart das wirklich?

Arnold Schönberg (1917, Portrait von Egon Schiele, Stift, Tinte und Aquarell auf Papier, Privatsammlung) und Wolfgang Amadé Mozart mit 21 Jahren mit dem Orden vom Goldenen Sporn (sogenannter »Bologna-Mozart«, Kopie eines unbekannten Malers nach dem verlorengegangenen Portrait von Padre Martini, Museo internazionale e biblioteca della musica in Bologna), Bildquellen: Wikimedia commons

Antonello Manacorda Antwort auf die Frage lautet »Ja, er wollte das so«. Natürlich darf man ihm aber auch – wie jedem Musiker – nicht nur, man muß ihm zugestehen, seine persönliche Sichtweise einzubringen, also gegebenenfalls auch die Musik mit jeder möglichen Wiederholung auszukosten. Schließlich ist weder die Kammerakademie Potsdam noch das Gewandhausorchester ein Originalklangensemble. Und genau da lag bzw. liegt der Reiz von Manacordas Interpretationen: schlank im Klang, aber an heutiger Tonalität und heutigen Ohren orientiert, sorgt er für einen sehr kammermusikalischen Eindruck. Interessant zum Beispiel mit den vergleichbaren Konzerten oder Aufnahmen von Wolfgang Amadé Mozarts letzten beiden Sinfonien mit dem Gewandhausorchester, die deutlich sinfonischer sind. Antonello Manacorda bevorzugte das Orchester – selbst in der Konzertreihe Grosse Concerte – in Kammerformation (vergleichbar den »Aufführungsabenden«, wie wir sie in Dresden häufig erleben).

Die größere Entdeckung und absolut Bereicherung waren aber wohl Arnold Schönbergs Kammersinfonien, die in umgekehrter Reihenfolge die beiden Konzertteile einleiteten. Nicht nur im Jahr des 150. Geburtstag (am 13. September) des Komponisten war diese Erfahrung und Gegenüberstellung eine Horizonterweiterung. Die Anfangssequenz der zuerst gespielten zweiten Kammersinfonie erinnerte beinahe an Filmmusik (Bläser und Violoncelli), bevor sich die Streicher des Themas annahmen. In Manacordas schlanker Interpretation konnten Schattierungen und dialogische Szenen (Oboe / Konzertmeister) hervortreten, Streicher wie Bläser brachten einen sehr sanften, warmen Klang mit Feinzeichnung hervor. Dabei schienen die weit ausholenden Dirigierbewegungen allerdings irritierend und im Vergleich mit anderen Konzerterlebnissen des Dirigenten ungewohnt – ein Zeichen, daß man sich in der Kommunikation noch nicht ganz »gefunden« hatte? Später bei Mozart fiel dieser Gegensatz an Bewegung und im Vergleich geringerer Effektlast noch deutlicher auf.

In seiner 1. Kammersinfonie klang Arnold Schönberg teilweise ungewohnt wienerisch, aber daß man seinen Namen nicht mit Atonalität oder Zwölftonmusik gleichsetzen darf, hat sich mittlerweile wohl herumgesprochen. Interessanter war die Orchesteraufstellung in zwei Bögen, vorn die Streicher, dahinter die Bläser, wie ihre Kollegen von links (Flöte) nach rechts (Fagott) in der Stimmtiefe absteigend, zwei Hörner noch dahinter.

Mozarts aus unerfindlichen Gründen ohne Beinamen überlieferte Sinfonie g-Moll (KV 550) perlte zu Beginn, überzeugte mit Geschmeidigkeit, verbarg ihre Effekte, wie das von der Flöte ins Fagott fallende Thema (Andante), aber nicht. Verhältnismäßig flott ließ Antonello Manacorda das Menuett (mit drängenden Hörnern) kontrastieren. In der Jupiter-Sinfonie (C-Dur, KV 551) wechselten Fuoco und Fermate teilweise etwas überraschend, was aber den mitreißenden Effekt oder Publikumszuspruch eher anheizte als verhinderte. Erneut war das Andante, diesmal als cantabile, am schönsten ausgezirkelt, die Menuetto-Rampe baute Antonello Manacorda sorgsam auf. Vielleicht gibt es beim nächsten Mal noch mehr Operneffekt.

2. Februar 2024, Wolfram Quellmalz

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