Bartók mit »Wow-Effekt«

Augustin Hadelich und Jakub Hrůša bei der Sächsischen Staatskapelle

Der Name Béla Bartók bremst die Vorfreude mancher Konzertbesucher ob der zu erwartenden Moderne oder Avantgarde – zu Unrecht! Immer wieder erweisen sich seine Werke als Schatzkistchen, aus dem folkloristisch funkelnde Rhythmen ebenso sprudeln wie süffige Melodiösität. Das war gestern im siebenten Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle Dresden (Matinée in der Semperoper) nicht anders. Ohne einleitende Ouvertüre stand sogleich Bartóks Violinkonzert Nr. 2 (Sz 112) mit Augustin Hadelich und seiner bild- wie tonschönen Guarnieri del Gesù auf dem Programm.

Die Satzfolge – das kennt man bei Bartók – gibt zwar sozusagen das Maß vor, allzu regelkonforme Formen von Allegro oder Andante sollte man jedoch nicht erwarten. Staunen durfte man im Gegenteil, schon mit dem Beginn, den Harfe und Pizzicato der Violoncelli formten – das klang nach Serenade denn nach Konzert! Und blieb so, nachdem weitere Streicher und der Solist hinzutraten, der ein Ständchen anzustimmen schien. Dirigent Jakub Hrůša offenbarte erst jetzt im Tutti die große konzertante Form, in dem die Bläser pointiert dem Solisten antworteten. Die Staatskapelle ließ den Satz – ohne merkliche Beschleunigung, aber mit prägnant eingebundenem Schlagwerk – noch weiter wachsen, noch konzertanter werden. Noch vor dem zweiten Satz, eben jenem formalen Andante, verschlankte sich der Klang, kippte der Charakter – auf die Serenade des Beginns folgte ein Nocturne, das die lange und virtuose Kadenz von Augustin Hadelich einleitete – »Wow!« entfuhr es einer Zuhörerin in der Satzpause.

Wow! Augustin Hadelich, Jakub Hrůša und die Sächsische Staatskapelle tanzen mit Béla Bartók, Photo: Sächsische Staatskapelle Dresden, © Oliver Killig

Im langsamen und im finalen Satz gab es kaum weniger »Wow!« Mit der Kantabilität eines Liedes begann das Andante, das mit dem filigranen Fingerwerk des Solisten zudem bald spielerische Raffinesse zeigte, um vor dem Scherzo-Mittelteil noch einmal zum Nocturne zurückzukehren. Dort rückten die Streicher quasi noch dichter zusammen, denn in aus den erwidernden Pizzicati ging reihum ein fast elektrischer Impuls durchs Orchester.

Lustvoll, aber stets von Übersichtlichkeit und Transparenz geprägt, tobte das Allegro über die Bühne. Violine, Triangel und Schlagwerk verschmolzen in Schwebung, bevor noch einmal Bartóks lyrische Seite zum Vorschein kam – Sturm und Feingefühl schienen nach beieinander zu liegen.

Nur was spielt man hernach als Zugabe? Auch Jakub Hrůša, der sich ins Orchester setzte, wollte das wohl wissen. Die Entscheidung mußte doch zwischen zwei Polen fallen: Bach oder Paganini?! Augustin Hadelich entschied sich für ein Schmankerl von Carlos Gardel (»Por una cabeza«)!

Schmankerl mit Vergnügen: Augustin Hadelich bot als Zugabe südamerikanische Tango-Rhythmen, Photo: Sächsische Staatskapelle Dresden, © Oliver Killig

Das Ouvertürenstück gab es nach der Pause: Mit dem Nocturne für Streichorchester H-Dur (Opus 40) von Antonín Dvořák präsentierte die Sächsische Staatskapelle ein Werk, das mehrfach umgeformt und erweitert worden war. Ursprünglich für ein Streichquartett gedacht, dann zum Quintett gewachsen, erreichte es schließlich eine große Streicherbesetzung. Sonore Violoncelli und ein dunkler Klang schienen zunächst den Gedanken eines zurückgenommenen Nocturne aufzugreifen, bald aber schwang sich das Werk in die lichte Höhe eines Allegretto oder Menuett.

Wer nun dachte, es ging licht und froh weiter, wurde eines besseren belehrt. In zwei seiner Sinfonien hatte sich Arthur Honeggers auf die Ereignisse bzw. Folgen des Zweiten Weltkrieges bezogen. Die dritte, »Symphonie liturgique« genannt, greift wie die zweite Satzbezeichnungen aus liturgischen Werken, etwa der Messe auf. Sie folgt jedoch nicht dem Duktus derselben, sondern spiegelt (wohl) vielmehr die Empfindungen und Gedanken des Komponisten. Gerade mit martialischen, fast gewalttätig scheinenden Marschelementen erinnert er manchmal an Dmitri Schostakowitsch, anders als dieser bricht Honegger aber nicht tragisch ab, sondern bietet am Ende eine Auf- oder Erlösung. Der zweite, tragisch scheinende Satz, begann mit einem nonchalant-elegischen Englischhorn (Michael Goldammer), doch auch dieses De profundis clamavi‘ – Adagio wuchs erregt in von Blechbläsern und Klavier geformten Spitzen. Das schließende Dona nobis pacem‘ – Andante gestaltete Jakub Hrůša nicht weniger spannungsreich – mit Klavier, Baßklarinette und Pauken erinnerte er erneut an Schostakowitsch, mit dem schrittweisen Hinzutreten der Streicher (zunächst die dunklen, zuletzt die ersten Violinen) schien fast schon ein Wachstum ins unermeßliche bevorzustehen – würde es in einen Absturz münden? Die Glissandi der Blechbläser deformierten den scheinbar zielgerichteten, unbeirrbaren Klang, der sich plötzlich harmonisch auflösen durfte.

Statt gewalt- also friedvoll? Jakub Hrůša umarmte symbolisch die Kapelle beim Schlußapplaus.

4. März 2024, Wolfram Quellmalz

Noch einmal heute: 19:00 Uhr, Semperoper Dresden, 7. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle Dresden, mit Jakub Hrůša (Dirigent) und Augustin Hadelich (Violine), Werke von Béla Bartók, Antonín Dvořák und Arthur Honegger, Übertragung der Aufzeichnung am 12. März 20:03 Uhr auf MDR Kultur und MDR Klassik

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