Bei (viel) Licht betrachtet

Richard Strauss‘ »Die Frau ohne Schatten« feiert Premiere an der Semperoper

Schattenspiel und Zahlenmystik

Selbst an der Sächsischen Staatsoper, wo Richard Strauss‘ Werke besonders gepflegt werden, ist »Die Frau ohne Schatten« lange nicht zu sehen gewesen. Nun gönnt sich das Haus zum Ende der Ära Thielemann eine Neuproduktion, in der kommenden Spielzeit ist das Stück allerdings schon wieder vom Spielplan verschwunden. Die Auslegung des hoch komplexen Stoffes überließ man bewährten Händen: David Bösch hatte mit seinem Team in Dresden bereits »Nabucco« und »Die tote Stadt« erfolgreich auf die Bühne gebracht. Ihnen gelang auch am Sonnabend wieder ein opulentes Bilderspiel, wenngleich sie hier und da übers Ziel hinausschossen – letztlich war ihnen der einhellige Beifall des Publikums sicher.

Ahnungslos in Gefahr: Der Kaiser (Eric Cutler) weiß noch nichts von seiner nahenden Versteigerung (Der Kaiser), Photo: Sächsische Staatsoper, © Ludwig Olah

Dabei war nicht alles im ohnehin nicht einfach zu durchschauenden Stoff schlüssig. Die Kaiserin ist bei Hugo von Hofmannsthal keine glänzend gekrönte »Sisi«, sondern ward von ihrem Gatten erjagt und verlor noch dazu ihren Schatten, weshalb sie weder ganz zur Menschen- noch zur Feenwelt gehört. Erst mit einem Nachkommen würde diese Zuordnung geklärt, doch blieb der bisher aus. Schlimmer noch als die biologische Uhr tickt dabei eine Frist, die nun binnen drei Tagen ablaufen soll. Verstreicht sie, trifft auch den Kaiser eine Strafe – er wird versteinern. Das Paar der Färberin und des Färbers aus dem Menschenreich taugt aber weder zum Partnertausch noch zur Leihmutterschaft – nach zwei Akten ist man der Verzweiflung nahe: Wie soll das je gut ausgehen? Doch es gelingt, geradezu klassisch, weil die Kaiserin lieber Sühne trägt, als den Ausweg, Lebenswasser zu trinken, zu wählen – so befreit sie gleich beide Paare.

Federleicht, aber ein paar hundert Kommentare zu viel

Schon das erste Bild gelingt zauberisch. Patrick Bannwart hat wieder das Bühnenbild für David Bösch (Kostüme: Moana Stemberger) gebaut und eine luftige Wolkenburg entworfen. Freilich hängt zwischen den Wolken manches schief – kein Kind, kein Schatten. Die (Schatten) kommen aber alsbald, denn – auch das kennt man – Patrick Bannwart und Falko Herold haben fleißig Videos eingefügt. Fortan werden zu jeder Szene Bilder auf die Bühne projiziert – Hasen, Fische (oder Ameisen?), Totenschädel, Kinder … Es wimmelt vor Anspielungen und Deutungen mit viel Symbolik. Die ständigen Einblendungen – wiewohl im Grunde »richtig« – beginnen im Laufe des Abends bald zu nerven, selbst stehende Schattenbilder werden durch Wellenbewegungen animiert. Oder gehört es zur Zahl fünf, die in der Zahlensymbolik für Merkur, fürs Visionäre, aber auch für Unruhe steht? Nebenfiguren oder Schimären tauchen immer wieder à cinq auf: fünf Jünglinge, nur mit weißen Unterhosen und einem goldenen Lorbeerkranz bekleidet, fünf Kinder, fünf schwarze Feenwesen

Wenig verführerisch: Baraks Frau (Miina-Liisa Värelä), Photo: Sächsische Staatsoper, © Ludwig Olah

Das Färberhaus scheint trist und grau. Es ist mehr ein Entfärberhaus, in dem gebleicht wird statt daß bunte Stoffe entstehen. Während der Färber als pragmatischer und guter Kerl erkennbar ist, ist die Färberin – immer mit einer Kippe im Mund – unzufrieden. Offenbar gibt es hier keine Kinder, weil niemand mehr Lust hat. Das macht die Färberin aber anfällig für die Manipulationen der Amme. (Der Erfolg bleibt trotzdem aus.) Als sie ein Fremdgehen vortäuscht, verfällt der Färber ins Trinken, versucht einen Suizid – nur ist das kaum mehr als ein Klischee und fade, derweil die Färberin als »Pink Lady« kurzzeitig für Lacher sorgt.

Während Strauss‘ Musik bacchantisch aus dem Orchestergraben fließt, strömt, quillt oder sprudelt, wirkt die üppige Bildervöllerei auf der Bühne überladen und kann nicht überzeugen. Dabei enthält sie viele, viele schöne Ideen, aber die Tristesse des Färberhauses kippt eben auch ins vulgäre. Denn natürlich hört nicht nur das Auge mit, auch das Ohr sieht zu.

Zu hören gibt es eine überragende Besetzung, die schon deshalb so viel Freude macht, weil hier nicht einmal ansatzweise jemand falsch ist oder nicht ganz in die Rolle paßt. Eric Cutler verleiht dem Kaiser einen zunächst frohgemuten, aber eben nicht eindimensionalen Charakter und kann seiner strahlenden Stimme manch angstvolle Frage abgewinnen. Bei seinem Hausdebüt stattet Oleksandr Pushniak als Barak den seiner Gattin intellektuell doch unterlegenen Färber mit Würde aus und malt ein kleines Färberidyll. Überragend ist das Damentrio mit Camilla Nylund als Kaiserin, Evelyn Herlitzius als Amme und Miina-Liisa Värelä (Baraks Frau, ebenfalls Hausdebut). Während Die Kaiserin betörend schwärmerisch für ihre Liebe (oder ihren Schatten) kämpft (ihr Schlußmonolog ist gigantisch!), wandelt sich die Figur der Amme: aus der treuen, aber kalkulierend fürsorglichen Begleiterin wird mehr und mehr ein manipulierendes Weib! Beide vollführen die typisch Strauss’schen Tonsprünge gewandt und mühelos – mit nahezu umgekehrten Charakterkontrasten.

Verführungsversuch: Die Amme (Evelyn Herlitzius) will Baraks Frau (Miina-Liisa Värelä) manipulieren, mit Komparserie, Photo: Sächsische Staatsoper, © Ludwig Olah

Bei Thielemann stehen sie alle

Das reiche Figurenensemble läßt noch in den kleineren Rollen um kein Jota nach: Nikola Hillebrand (Tempelhüterin) und Andreas Bauer Kanabas (Geisterbote) bereichern die Szene, Christa Mayer sorgt als Stimme von oben nicht nur für Gänsehaut, sondern für eine Umkehr zum guten. Es ist schlicht fabelhaft, wie zwischen den Figuren immer wieder Spannung entsteht und sich gar noch wandelt! Der Sächsische Staatsopernchor (Einstudierung: André Kellinghaus) und vor allem der Kinderchor der Semperoper Dresden (Claudia Sebastian-Bertsch), der nicht nur singend, sondern auch agierend auf der Bühne zu erleben sind, komplettieren die großartige Besetzung. Wobei der Staatsopernchor aus dem Hintergrund wie in die Orchesterstimmen eingefügt scheint.

Die Sächsische Staatskapelle bietet bis in Schlagwerke und Glasharfe alles auf, was Klang geister- oder feenhaft »formen« kann. Ob wolkiges Wogen, gefährliches Zucken oder Liebesströmen – die Pracht nimmt schier kein Ende, denn sie läßt weder in Pausen nach (weil sie in den präzis-geschmeidigen Ablauf eingebunden bleiben) noch in den kammermusikalischen Szenen, in denen plötzlich Violine, Harfe, wunderbare Hörner (!) oder ein vibrierend erregender Celloton (Sebastian Fritsch, als spiele Pau Casals Bach!) das Herz beglücken. Dabei ist es keine »Show« der Kapelle, denn Christian Thielemann hegt sorgsam den Zusammenhang des Stücks, läßt die Musik instrumental hervortreten, wenn das Orchester allein klingt, oder verschmilzt es mit den Sängern.

Zum Schlußapplaus bringt er die Staatskapelle mit auf die Bühne – eine schöne Geste! Da tobt schon minutenlang der Beifall, wobei sich das Publikum nach und nach erhob. In zwei Stufen nahmen die Ovationen zu – zuerst bei Evelyn Herlitzius, bei Thielemann stehen schließlich alle.

24. März 2024, Wolfram Quellmalz

Noch einmal am 30. März sowie am 2. April: Richard Strauss »Die Frau ohne Schatten«, Semperoper, mit Christian Thielemann (Musikalische Leitung), Sächsische Staatskapelle Dresden, Camilla Nylund, Evelyn Herlitzius, Miina-Liisa Värelä, Christa Mayer und anderen. https://www.semperoper.de/spielplan

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