Klavierabend als Gesamtkunstwerk

Villa Teresa feierte 160. Geburtstag von Eugene d’Albert mit Pianistin Ragna Schirmer

Selbst wenn das letzte Konzert (Flügeljubiläum im November) mit Ragna Schirmer in der Coswiger Villa Teresa nur knapp fünf Monate zurückliegt – mit der Pianistin gibt es Wiederbegegnungen, aber keine Wiederholungen! Im Gegenteil bereichert sie das Programm um immer neue Pretiosen – schon deshalb, weil sie bereit ist, sich damit auseinanderzusetzen. Viele Funde warten nicht einfach im verborgen darauf, entdeckt und gespielt zu werden. Sie wollen zunächst, Eugene d’Alberts Capriolen zum Beispiel, die in nur einer Druckausgabe vorliegen, erst einmal erschlossen und verstanden werden.

Ragna Schirmer verfügt darüber hinaus über das Geschick, Stücke durch ein zartes, zuweilen leidenschaftliches Band zu verknüpfen, so daß der Abend zum Gesamtkunstwerk wird. Da fragte man sich am Donnerstag, ob sie die schmale, sich langsam orange färbende Mondsichel, die sich über den Park der Villa senkte, auch arrangiert habe oder ob Caspar David Friedrich dem Abend diese romantische Note verlieh. Den Nachklang der ersten Nachtigall gab es noch »obendrauf« – himmlisch!

Und Liszt schaut zu (der Komponist ist auf dem Portrait an der Wand zu sehen): Pianistin Ragna Schirmer beim Konzert in der Villa Teresa, Photo: NMB

Der Steinway, den der Komponist Eugene d’Albert einst selbst besaß, ist nun 125 Jahre alt und unterscheidet sich in manchem von seinen modernen Brüdern, auch im Klang: Franz Schuberts viertes Impromptu aus der ersten Serie klang im Baß ein wenig matter, dafür waren die Obertöne transparenter. Aus dem sonst oft virtuos gespielten Schluß-Allegro wurde ein Salonstück und Ohrenöffner, der im Mittelteil sein verträumtes Wellenspiel offenbarte. Fünf der Capriolen Eugene d’Alberts bezeugten – eng gefaßt – den beidseitig spielerischen Witz von Komponist und Pianistin und die Freude am Entschlüsseln von Bildern wie »Falters Flammentod« oder der geheimnisvollen »Rose im Schnee«.

Daß viele Werke Clara Schumanns heute zum Repertoire gehören, ist nicht zuletzt ein Verdienst von Ragna Schirmer, die uns seit Jahren den Schumann’schen Familienkreis erschließt. Das Scherzo Opus 14 gehört daher ebenso zu den »guten Bekannten« wie die Lieder »Warum willst du and’re fragen« und »Geheimes Flüstern hier und dort«. Daher fällt einem auch in der Fassung von Franz Liszt oft der entsprechende Text ein. Ragna Schirmer band die beiden Lieder mit dreien Franz Schuberts zusammen: »Gretchen am Spinnrad«, »Ständchen« und »Erlkönig«. Im Gegenüber erwies sich eine feinfühlige Art Liszts, hat er doch den zurückhaltenden, intimen Charakter von Clara Schumanns Liedern behutsam und respektvoll erhalten, während er bei Schubert – von Puristen naserümpfend behört – das pianistische Können munterer schießen ließ. Dennoch: Wer hatte bei dieser emotionalen Ausdeutung nicht wiederum gleich Goethes Text im Kopf? Liszt scheint da fast wie eine Lernhilfe – ob solche Verbindungen von Musik und Literatur heute an Schulen »ankämen«?

Das Einfühlen in die Musik, den Flügel, den Raum, gerade darin lag das Geheimnis. Statt überwältigender Akkorde und atemberaubender Effekte läßt sich ein ganz anderer, aber nicht minder bannender Eindruck ebenso erwecken, wenn man langsamer spielt, nicht Tempo und Dynamik ins Extreme steigert. Gerade das versteht Ragna Schirmer glänzend, und so ging in der Aussage, den Farben und Nuancen kein Jota Ausdruck verloren. Aus Franz Liszts h-Moll-Sonate, die den zweiten Konzertteil allein ausfüllte, wuchs ein rhapsodisches Stück, bei dem nicht die pianistische Bravour, sondern mystische und deutbare Episoden in den Vordergrund traten.

11. April 2024, Wolfram Quellmalz

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