Romantische Orgeleinflüsse

Domorganist Andreas Meisner spielte an der Silbermann-Orgel der Hofkirche

Zuletzt war Andreas Meisner vor knapp drei Jahren beim Dresdner Orgelzyklus gewesen, hatte in der Kreuzkirche virtuose Orgelromantik unter anderem von Félix Alexandre Guilmant, Nicolas Jacques Lemmens, Marco Enrico Bossi und Franz Liszt präsentiert und schon damals die Leichtigkeit von Liedern ohne Worte, die manchem der Stücke innewohnt, anklingen lassen. Überwiegend romantisch und in manchem liedhaft zeigte sich auch sein Programm am Mittwoch in der Hofkirche (Kathedrale), zu dem erneut ein Siciliano von Max Reger (diesmal Opus 59) sowie Choralvorspiele von Sigfrid Karg-Elert gehörten. Abgesehen von drei Werken Johann Sebastian Bachs war das meiste also »unzeitgemäß« für die Silbermann-Orgel, zu modern? Nein, meinte Andreas Meisner im Vorgespräch, die notwendigen Farben (der Romantik) seien in den Registern schließlich zu finden.

Bilder von links: Sigfrid Karg-Elert und Josef Gabriel Rheinberger (historische Photographien, Bildquelle: Wikimedia commons), rechts: Andreas Meisner am Spieltisch der Orgel im Altenberger Dom, Photo: Roland Neumann

Eine andere Frage, die den Gastgeber Sebastian Freitag beschäftigte, war jene nach der Länge der Amtszeit. Der Dresdner Domorganist trat seine derzeitige Stelle erst vor gut zwei Jahren an und staunte über die bald vierzig (!), auf die Andreas Meisner am Altenberger Dom im Rheinland 2025 zurückblicken können wird. So unvorstellbar ist es aber nicht – wenn man eine Stelle findet, wo Orgel, Kirche und Gemeinde einfach »stimmen«, und dies direkt nach dem Studium schon passiert, vergehen vierzig Jahre wohl wie im Fluge.

Das Konzertprogramm fiel nicht nur romantisch und modern aus, es spielte zudem mit den Formen, denn mancher Komponist hatte sich ein Werk im Stil »à la« erdacht. So erinnerte Sigfrid Karg-Elerts »Ein Siegesgesang Israels« tatsächlich frappierend an Georg Friedrich Händel – es hätte auch die Adaption eines originalen Ensemblestücks von Händel sein können. Mit drei kurzen, charakteristischen Choralvorspielen des Komponisten gab Andreas Meisner Einblick in die Wandlungsfähigkeit des Hofkircheninstruments, nur im dritten (»Machs mit mir Gott«, aus Opus 78) verschwammen die Töne so, daß sie teils an eine Hammond- als eine Silbermann-Orgel erinnerten.

Was auf keinen Fall die Aussage, neuere Stücke auf dem Instrument von 1755 spielen zu können, widerlegen soll. Das unterstrichen im zweiten Programmteil zum Beispiel Josef Gabriel Rheinbergers »Vision«, die Andreas Meisner fast mehr impressionistisch als romantisch schimmern ließ, und Felix Mendelssohns erste Orgelsonate. Diese wiederum bot reiches Material für Entdeckerohren, auch über den in allen Strophen hineingewobenen Choral (»Was mein Gott will, das g‘scheh allzeit«) hinaus.

Immer wieder aber »trafen« sich Komponisten oder Werke oder »kreuzten« sich die Zeiten. Ähnlich wie bei Karg-Elert und Händel zu Beginn erinnerte Max Regers Siciliano nicht nur an jenes aus Bachs Triosonate Es-Dur (BWV 1031), das Wilhelm Kempff so wunderbar aufs Klavier übertragen hat, es war ebenso eine Annäherung in Wesen und Geist wie eine Reger’sche Neuschöpfung – so langsam sollten sich nach seinem Jubiläumsjahr doch die Berührungsängste legen. (Oder die »schönen« von den »schrecklichen« Werken getrennt sein?)

Eine andere Wegkreuzung hatte in der Programmmitte Bachs Fuge g-Moll (BWV 578) markiert. Bei dem frohgemuten Werk konnte man leicht Vivaldis Violinen hören. Mit Präludium, Largo und Fuge C-Dur (BWV 545) hatte Andreas Meisner außerdem ein Werk im Programm, welches dem Konzertpublikum eine Ruhepause zwischen den beiden Höhepunkten gönnt. Wenn also heute Organisten ein Präludium und Fuge »aufbrechen« und als Rahmen ihres Programms wählen oder ein Adagio dazwischensetzen, sollte man dem wohlwollend begegnen – es könnte ganz im Sinne Bachs sein!

Mit einer Miniatur für ein Flötenwerk von Joseph Haydn als Zugabe verabschiedete sich Andreas Meisner von seinem Publikum.

18. April 2024, Wolfram Quellmalz

In der kommenden Woche spielt Ansgar Schlei (Wesel) »Very British« in der Kreuzkirche, Stefan Kordes (Göttingen) bietet am 1. Mai ein »Impressionistisches Europa« in der Frauenkirche, bevor Judith Bothe (Leipzig) in der Hofkirche eine Woche später durch den Frühling schreitet.

Termine und Konzerte unter:

https://www.kreuzkirche-dresden.de/veranstaltungen/veranstaltungskalender

https://www.bistum-dresden-meissen.de/wir-sind/kathedrale/musik-an-der-kathedrale/musik-an-der-kathedrale

https://www.frauenkirche-dresden.de/kalender

Hinterlasse einen Kommentar