Federstrich und Aquarell

Pianist Francesco Piemontesi überzeugt bei den Dresdner Musikfestspielen mit Können und Gestaltung

Selbst für seine eigenwillige Werkkombination und die Reihenfolge hatte Francesco Piemontesi am Sonnabend bei den Dresdner Musikfestspielen (DMF) im Palais im Großen Garten noch überzeugende Argumente: Ludwig van Beethovens Klaviersonate Nr. 30 sei so modern und eröffne geradezu eine impressionistische Farbpallette, daß sich Claude Debussys Préludes, wenn nicht logisch, zumindest im Klang folgerichtig anschlossen. Andererseits hätte man den »gewichtigeren« Beethoven auch ans Ende stellen können – hätte nicht nur, Francesco Piemontesi hat das Programm bereits in dieser Reihenfolge gespielt.

Es gehört zu den großen Begabungen des Tessiners, solche Waagschalen ausgeglichen halten zu können und nicht an nur einer »Wahrheit« festzuhalten. Das verschafft ihm nicht zuletzt interpretatorische Freiräume, die jedoch nicht vom Komponisten oder seinem Werk wegführen. Und so konnten Ludwig van Beethovens »Waldstein«-Sonate ebenso wie das spätere E-Dur-Werk Klavierfreunde und Beethoven-Verehrer überzeugen.

Antonín Machek, Portrait von Graf Ferdinand Ernst Joseph Gabriel von Waldstein und Wartenberg von ca. 1800, Bildquelle: Wikimedia commons

Francesco Piemontesi fand schon im Allegro con brio bei Waldstein Gelegenheit, die Verweildauer zum Rubato wachsen zu lassen und damit die Vehemenz des con brio noch zu steigern. Den Spannungsraum zwischen Beruhigung und Erregung reicherte Francesco Piemontesi mühelos ebenso mit feingliedrigem Spiel an, wie er es durch manch fast schon hastige Energieentladung steigerte. Und doch legte er auch Beethovens sanfte Seite offen, eine Introduzione im Stil eines Nocturne.

Nach den getriebenen Läufen des Waldstein-Finales schien Beethovens 30. Klaviersonate mit einem Lächeln zu beginnen, sich bedächtig zu ändern, zu fragen – prestissimo war Beethovens Vehemenz sofort wieder da – wenn auch in anderen Farben – um schließlich in den Variationen emotionale Charaktere zu schildern.

Mit seiner stupenden Technik und einem raffinierten Pedaleinsatz wußte sich Francesco Piemontesi als Erzähler zu präsentieren. Das blieb nach der Pause so, freilich waren die »Bilder« nun andere – Claude Debussys Préludes (zweites Buch). Hier zeigte sich nun, wie aus der bei Beethoven geschärften Struktur feine Zeichnungen entstanden – noch für »Brouillards« (Nebel) sind kleinste Konturen wichtig! Denn gerade einem irisierenden Eindruck wäre das Verschwimmen oder Verkleistern der Farben abträglich.

Aus Piemontesis Bildern tauchte immer wieder Details, Ornamente oder Segmente auf, nicht zuletzt, weil er die Gewichtung gegenüber dem Baß lebendig erhielt, so daß auch die linke Hand Objekte zu zeichnen schien. Im ganzen lag ein Gleichgewicht zwischen Leichtigkeit und Schwere über den Préludes, das der Pianist immer wieder belebend verschob, ohne jedoch Debussys Farben zu verfälschen.

Was neben Farben und Balance wichtig und prägend blieb, waren Rhythmen, und das nicht nur bei betonten Akkorden, die einem Momentum gleich impulshaft auslösten (Nr. 3 La Puerta del Vino / Das Tor des Weins) oder einen Boogie Woogie imitierten (Nr. 6 Général Lavine – excentrique / General Lavine – exzentrisch).

Préludes – wie nahe sind sie den Images? Als reine »Bilder« darf man sie wohl nicht verstehen, eher als Charakterzeichnungen (womit sich eine weitere Parallele zu Beethovens Variationen aus Opus 109 ergäbe). Zudem offenbart der Zyklus immer wieder Fenster, Öffnungspunkte, die einem zu stringenten, geschlossenem Beschreibungsablauf wiedersprächen.

Somit erfahren – zumindest in der Spielweise von Francesco Piemontesi – vergleichbare Figuren einen Wandel und unterschiedliche Bedeutung. Die Beiläufigkeit, mit der die rechte Hand zum Beispiel Akzente setzt, Konturen herausformt oder aber verwischt. Manches wurde geradezu zauberisch: traten »Les Fées sont d’exquises danseuses« (Nr. 4: Die Feen sind ausgezeichnete Tänzerinnen) nun mit einem Regenschauer oder dem Flattern von Schmetterlingen auf?

Der Schalk steckt Francesco Piemontesi wohl ebenso in den Fingern wie ihn Claude Debussy offenbaren konnte: »Hommage à S. Pickwick Esq. P.P.M.P.C.« (Nr. 9 Hommage an Samuel Pickwick) feierte – inclusive »God save the King« – eine Figur aus Charles Dickens Roman »Die Pickwickier«.

Mit zwei Bearbeitungen als Zugaben, Johann Sebastian Bachs »Wachet auf, ruft uns die Stimme« (BWV 645, Ferruccio Busoni) und einer Studie von Leopold Godowski nach Chopin (As-Dur), verabschiedete sich Francesco Piemontesi aus dem Palais.

12. Mai 2024, Wolfram Quellmalz

Das Palais im Großen Garten ist am Mittwoch wieder Schauplatz für die DMF. Eldbjørg Hemsing (Violine) und Alexei Volodin (Klavier) spielen dann Werke von Edvard Grieg, Karol Szymanowski, Gabriel Fauré und Maurice Ravel.

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