Hélène Grimaud und die Camerata Salzburg bei den Dresdner Musikfestspielen
Am Pfingstmontag kehrte die französische Ausnahmepianistin Hélène Grimaud mit einem ihrer Lieblingswerke in der Dresdner Kulturpalast zurück. Robert Schumanns Klavierkonzert a-Moll hat sie schon oft gespielt, mehrfach aufgenommen. Ungewöhnlich (für dieses Werk) war diesmal vielleicht die Kombination mit der Camerata Salzburg, da diese ohne Dirigenten begleitete. Die Leitung übernahm Konzertmeister Giovanni Guzzo vom ersten Pult aus. Die Camerata spielt zwar auf modernen Instrumenten, Ventilhörnern, Querflöten und Streichern mit neuen Bögen, nähert sich der Musik jedoch historisch informiert, also »knackig«. Da darf man die Frage stellen, wo mehr Originalklang drinsteckt: wenn das Dresdner Festspielorchester auf alten Instrumenten im Kulturpalast Wagner spielt (Reihe Originalklang am 5. Juni) oder wenn die Camerata Salzburg sich mit modernem Instrumentarium dem Originalklang im modernen Saal annähert? (Wer es wissen will, höre beides.)
Daß das »knackige« des historisch Informierten aufregend, aufreibend klingt, lebendig knarzt und glutvoll funkelt, war schon in Ludwig van Beethovens »Coriolan«–Ouvertüre zu spüren. Heinrich Joseph von Collins Trauerspiel ist heute nahezu vergessen, wird eher noch gerade wegen Beethovens Ouvertüre erinnert, womit diese von ihrer ursprünglichen Funktion befreit ist – ein Eröffner oder Ohrenöffner mit einem dramaturgisch aufregenden Verlauf ist sie allemal. Ob nun »Coriolan« oder »Meerestürme und glückliche Fahrt«* – mit der Camerata Salzburg konnte man erfahren, wie differenziert, aber auch akzentuiert ein Akkordschlag im Tutti gesetzt werden kann und warum es »Schlag« heißt (man spürt es nämlich). Die Farbwechsel der Themen, das schöne Doppel-Fagott und der ruhige Puls des Endes zeigten die exzellente Qualität der kleinen Besetzung vor.

Schumanns Klavierkonzert, wurde danach deutlich, läßt sich eigentlich in keine Schublade stecken. Zu durchkomponiert, zu sinfonisch für ein reines Konzertstück, die unzähligen Dialoge mit Klarinette, Oboen, Hörnern, Flöten, Violoncelli etc. verweisen das Werk eigentlich in die Region »Kammerensemble mit Begleitung«. Über die Jahre spielt es Hélène Grimaud mittlerweile noch beherzter, einfühlsamer, vehementer. Das ist bei ihr kein Widerspruch, selbst wenn das Temperament fast schon mit ihr durchgeht. Zwar verschwamm die Artikulation hier und da, schlichen sich in den rasanten Passagen kleine Unsauberkeiten ein, indes – egal! Denn Hélène Grimaud verfügt über einen Ausdruck, den sie wahrt und lebendig spendet – wer wollte da noch eine fehlerfrei saubere, aber blutarme Interpretation hören?
Das Publikum ganz sicher nicht, das begeistert aufsprang und sich zwei Zugaben (Rachmaninow und Silvestrow) erklatschte.
Felix Mendelssohn wird von uns zwar als Genie gesehen, als »Revolutionär« aber eher nicht. Er hatte auch keine schwierige Kindheit wie Ludwig van Beethoven, der früh lernte, sich allein durchzusetzen. Oder ist diese Sichtweise falsch? Vielleicht. Spätestens, wenn wir das junge Genie in Werken wie dem Sommernachtstraum oder seinem Streicheroktett erblicken, wird das klar. Mendelssohns frühe Jahre sind uns historisch durch die Brille so wichtiger Lehrer und Persönlichkeiten wie Carl Friedrich Zelter oder Johann Wolfgang von Goethe vermittelt – es wird Zeit, daß wir durch unsere eigene Brille hören! Die Camerata Salzburg half dabei ungemein, denn sie zeigte, wie frisch Mendelssohns erste Sinfonie klingen kann. Eine »Revolution« mag ihr nicht eigen sein, aber ihr innerer Impuls ist nicht weniger groß bzw. heftig als in Beethovens »Coriolan«!
Die Pauke (Charlie Fischer) erwies sich als treibende Kraft, die Hörner (Bostjan Lipovsek und Michael Reifer) übertrugen Schumanns romantischen Klang und luden im brausenden Allegro di molto zum Verweilen ein, während im Scherzo eine Nähe zum Sommernachtstraum spürbar wurde. Mehr davon kam noch im Allegro con fuoco zutage. Nachdem das Scherzo-Menuett bereits eine belebende Frische enthielt, fand die Camerata Salzburg hier in Mendelssohns jugendlicher Verve eine innere Bestimmung zur Satzbezeichnung »mit Feuer«.
So auf- oder angeregt wollte die Camerata ihr Publikum aber nicht entlassen, wie Giovanni Guzzo meinte, und sandte als Zugabe ein besänftigendes Andante aus der fünften Sinfonie nach.
21. Mai 2024, Wolfram Quellmalz
* Das Stück »Meeresstürme und glückliche Fahrt« gibt es selbstverständlich nicht. Es ist eine Erfindung des Rezensenten, da sich der Titel von Mendelssohns »Meeresstille und glückliche Fahrt« nicht auf Beethovens sturmvolle »Coriolan«-Ouvertüre übertragen ließ.
