Publikumsfreundliche Umprogrammierung

Konzert des Moritzburg Festivals profitiert von seinen Stärken

Selbst beim bestorganisiertesten Veranstalter bleiben kurzfristige Änderungen nicht aus, sei es krankheitsbedingt oder weil sich Abläufe manchmal nicht wie geplant realisieren lassen. Letztlich gilt: die Qualität zählt, auch wie zufrieden die Spieler eines Stückes mit ihrer Leistung sind. Insofern hatte man am Mittwoch beim Moritzburg Festival (MBF) das eigentlich geplante Klavierquintett von Mieczysław Weinberg (bei gleicher Besetzung) gegen das Opus 44 von Robert Schumann getauscht. Den Verlust an Werkvielfalt überwog dabei die Qualität der Darbietung, obwohl es schon ein wenig schade war, daß nach Bartók in der Vorwoche wieder ein Werk des zwanzigsten Jahrhunderts den Umständen zum Opfer fiel. Es blieb somit Erich Wolfgang Korngold und Benjamin Scheer überlassen, am Abschlußwochenende des MBF die modernere Musik zu vertreten.

Der aktuelle Jahrgang wird – mehr noch als frühere vielleicht – besonders von Quintetten geprägt. Einerseits zählen sie zu den typischen Kammermusikformationen, andererseits weiten sie schon in der Besetzung eine Variationsvielfalt auf. Robert Schumanns Klavierquintett Es-Dur ist nicht nur in Moritzburg ein Klassiker, der hier bald jährlich eine Aufführung erlebt. Tom Poster (Klavier), Stella Chen und Chad Hoopes (Violinen), Ulrich Eichenauer (Viola) und Bruno Philippe (Violoncello) hoben das Werk, das von vielfachen emotionalen Umschwüngen und sehr eigenständigen Sätzen gekennzeichnet ist, weit über einen beliebigen Wiederholungfall und polierten darin manche Episode noch individueller heraus, als man es gewohnt ist. Schumanns Sätze könnten auch allein stehen, schon der Beginn des Konzertes mit dem fröhlichen Aufschwung klang nach Zugabe, da fielen die kleinen Intarsien, wie die Duette zwischen Violoncello und Viola, besonders auf. Der zweite Satz begann wie ein Nocturne für Violine und Klavier, bevor er, mehrfach »geworfen« und mit zwei wilden Einschüben, immer emotionaler wurde. Die Violinen markierten mit Tremoli einerseits eine Erregung, stellten außerdem Themen bzw. Frage und Erwiderung gegenüber.

Der junge Johannes Brahms, Photographie von Lucien Mazenod, ca. 1866 (ein Jahr zuvor war das Horntrio entstanden), Bildquelle: Kunstverlag »Die berühmten Musiker« / Wikimedia commons

Daß der Ersatzmann Schumann quasi naheliege, wenn Johannes Brahms auf dem Programm stehe, hatte sich Tobias Teumer, Geschäftsführer des MBF, in seiner Programmansage gefreut – ein berechtigter Gedanke. Brahms‘ Trio für Horn, Violine & Klavier (Opus 40), noch einmal Es-Dur (die Tonart ist im diesjährigen Moritzburg-Programm fast ebenso häufig vertreten wie Quintette aller Art), verlieh dem Mittwochabend einen goldenen Mittelpunkt. Schon vor Beginn hatten Stefan Dohrs Hornrufe beim Einspielen die einzigartige Atmosphäre um das Jagdschloß unterstrichen. Mit Benjamin Beilman (Violine) und Dénes Várjon (Klavier) verband ihn nun eine innigste Dreisamkeit, die vor allem auf eines setzen konnte: leise Töne. Denn gleich mit den ersten Piani am Beginn zeigte sich, welch märchenhaft reichen, fülligen Ton Benjamin Beilman noch knapp über der Hörbarkeit auf seiner Guarneri del Gesù hervorzuzaubern weiß. Stefan Dohr stellte sich auf dieses Melos ein, so daß beide noch vor dem Klavier (Brahms hatte ihre Parts sehr dialogisch angelegt) vielgestaltig hervortraten. »Piano« ist weder mit »langsam« gleichzusetzen noch mit »sanft« – in diesem Duo steckte viel (inneres) Drama!

Das Scherzo entfaltete sich danach weniger scherzhaft, sondern war fast schon zur Jagd geschmettert – im besten Sinne wohlgemerkt. Und hier galt einmal der Umkehrschluß: hatte sich Stefan Dohr zuvor in die Niederungen des violinistischen Pianos begeben, hielt Benjamin Beilman nun dem triumphalen Schmettern einen jubelnden, aber trotzdem gediegenen Klang entgegen. Im Adagio, ganz à trois, zeigten die Spieler jenen fast schon spukhaften Märchenglanz, den Brahms auch in seinen Intermezzi eingefangen hatte. Daß die Uhr der Schloßkapelle just zur vollen Stunde Schlug, paßte da irgendwie ins »Bild«. Luftig wie Mendelssohn (Violine) und bebend wie Schumann (Horn) gelang im Allegro con brio ein Schlußpunkt voller Elan.

Gegen solche Konkurrenz hatte es Maurice Ravels Streichquartett F-Dur (Opus 35), als Werk wohlgemerkt, schwer, denn einen solchen Grad der Innigkeit und Seele erreicht es wohl kaum. Vielmehr kennzeichnet es mehr »äußere« Aspekte, tragen Farbnuancen bei. Ob es beim ursprünglichen Programm oder mit Ravel an erster Stelle anders gewirkt hätte? Mira Wang und Stella Chen (Violinen), Paul Neubauer (Viola) und Bruno Philippe boten Ravels Farben bis hin zum impressionistischen Gesprenkel (als im zweiten Satz alle vier Pizzicati tupften), fanden aber als Quartett nicht zu jener Dichte, wie sie zuvor erklungen war. Manchmal, wie bei den Tremoli des letzten Satzes, schienen die Mittel ein wenig übertrieben. Dafür sorgten aber gerade die tieferen Streicher allein oder im Paarlauf für subtile, manchmal geradezu mysteriöse Untertöne.

Am Wochenende ging das MBF mit einer Tangonacht, dem Konzert im Kulturpalast sowie einer Uraufführung im Abschlußkonzert in den Endspurt.

15. August 2024, Wolfram Quellmalz

https://www.moritzburgfestival.de

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