Lange Bach-Nacht in der Dresdner Frauenkirche

Musik und Klang im ganzen Haus

Die Idee von Matthias Grünert war, die ganze Dresdner Frauenkirche klingen zu lassen und dies mit der Musik von Johann Sebastian Bach zu verbinden. Bach ist für den Frauenkirchenkantor ein Dreh- und Angelpunkt, und so hat er schon an seiner vorhergehenden Kantorenstelle (St. Marien Greiz) nicht nur 2003 schon das gesamte Orgelwerk des Thomaskantors aufgeführt und die Greizer Bachwoche initiiert, er rief bereits damals eine Lange Bach-Nacht ins Leben.

Das thüringische Greiz ist etwas kleiner als Dresden, was auch Vorteile hat – damals konnte Matthias Grünert die Türen von St. Marien öffnen und die Musik nach außen dringen lassen, was die Menschen auf dem Kirchplatz unmittelbar und teils überraschend einbezog. Das war in Dresden mit dem großen Neumarkt und seinen vielen gastronomischen Angeboten dort oder in der Münzgasse nicht gut möglich. Doch die Frauenkirche bietet innen verschiedene Plätze, Musik zu erkunden.

Am Sonnabend klang Bach von acht bis (fast) Mitternacht in drei Teilen durch das Gotteshaus, beginnend mit einem Konzert im Hauptraum, in dem außer der Ouvertüre D-Dur (BWV 1068), das Pièce d’orgue (BWV 572) an der großen Orgel von Daniel Kern, das Konzert a-Moll Violine und Orchester (BWV 1041) sowie die Kantate »Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren« (BWV 137) gespielt wurden. Matthias Grünert hatte vorab gesagt, daß es ihm darauf ankam, den Menschen nicht die weniger bekannten Werke Bachs vorzustellen (oder gar solche, deren Zuordnung nicht gesichert ist), sondern, wegen der Anziehungskraft, gerade jene Stücken zu spielen, die man kennt (und liebt). Nebenbei paßte die Kantate zum Beispiel auch recht gut ins Kirchenjahr: ursprünglich für den 12. Sonntag nach Trinitatis geschrieben, der nicht lang vorüber war (in diesem Jahr der 18. August), kam sie dem Motto der laufenden Woche (»Lobe den Herrn, meine Seele«) nahe.

Neben Matthias Grünert, der außer der Leitung natürlich die Kern-Orgel »übernommen« hatte, sangen und spielten der Kammerchor der Frauenkirche sowie das ensemble frauenkirche dresden und Solisten. Daniel Hope, »Artist director« der Frauenkirche, hatte in Bachs Violinkonzert den Solopart übernommen, die erste Violine im Ensemble spielte Yuki Manuela Janke (Erste Konzertmeisterin der Sächsischen Staatskapelle Dresden) kaum weniger virtuos.

Daniel Hope war auch im zweiten Konzertteil zu erleben, für viele wohl der wichtigste, weil es hier Musik und Kirche auf ungewohnte Art zu entdecken galt. Denn ab halb zehn Uhr wurden nicht nur im Hauptraum, sondern außerdem in der Unterkirche, dem Hauptkuppelraum, an mehreren Stellen des Treppenhauses sowie auf der Plattform in der Laterne (auf der Kuppel) Musik gespielt. Da konnte man nicht nur Musik entdecken, sondern dazu jene Musiker, die sonst, etwas entfernt im Hauptraum und in der Gruppe, doch entfernter scheinen. Gerade unter der Laterne (Flöte und Fagott) und im Treppenhaus (Bachs Suiten für Violoncello solo sowie Gesang mit Continuoorgel), ergaben sich berührende, einmalige Momente – für viele, wenn nicht die meisten, war es dazu das erste Mal, daß sie diese Orte betraten. Jeder Besucher konnte sich frei bewegen und seinen eigenen Ablauf zusammenstellen, denn die kurzen Programme wurden mehrfach wiederholt, so daß niemand etwas verpassen mußte.

Blick von der Laterne auf der Kuppel der Frauenkirche auf das Dresdner Schloß (Hausmann-Turm links), Katholische Hofkirche (hell erleuchtet) sowie (dahinter) die Semperoper, Photo: NMB

In der Unterkirche sorgte Pianist Tobias Forster für eine besondere Stimmung, denn der im Improvisieren versierte Musiker nahm Bach als Ausgangspunkt, um klassisch, im Jazz und auch populär lückenlos Musik zu verbinden. Als im nachhinein unglücklich erwiesen sich die gleichzeitigen Aufführungen im Hauptraum (Kammerchor der Frauenkirche mit der Motette »Jesu meine Freude«, BWV 227) und im Hauptkuppelraum (Daniel Hope mit Bachs Chaconne), da der sich gegenseitig durchdringende Klang doch mehr störend wirkte, als daß ein gelassenes Zuhören möglich gewesen wäre. Auch die Plattform auf der Kuppel war insofern eine »Achillesferse«, daß sich dort nur eine begrenzte Zahl Menschen aufhalten darf. Die Regelung des Zugangs war noch unerprobt, so daß wohl nicht alle Besucher Gelegenheit hatten, diesen Punkt zu erreichen. Doch beides läßt sich verbessern – der ersten Langen Nacht wird hoffentlich eine zweite folgen, die solche Erfahrungen verarbeitet.

Frauenkirchenkantor Matthias Grünert auf den Stufen hinter dem Altarraum der Dresdner Frauenkirche. Die unteren überstanden die Zerstörung 1945 und wurden in den Wiederaufbau einbezogen. Es handelt sich also um exakt jene Stufen, über die auch Johann Sebastian Bach 1736 nach oben zur Orgel stieg, als er nach seiner Ernennung zum Königlich polnischen und kurfürstlichen sächsischen Compositeur bey Dero Hoff-Capelle ein zweistündiges Orgelkonzert in der Frauenkirche gab. Photo: NMB

Als würdigen wie festlichen Abschluß gestalteten die beiden Ensemble von Matthias Grünert noch einmal mit den Solisten (Heidi Maria Taubert / Sopran, Laila Salome Fischer / Alt, Patrick Grahl / Tenor sowie Tobias Berndt / Baß) jene beiden Sätze aus Bachs h-Moll-Messe (BWV 232), mit denen sich Johann Sebastian um ein Königliches Amt bzw. einen Höfischen Titel beworben hatte. Kyrie und Gloria, die zuerst entstanden waren. Erst viel später hatte Bach die übrigen Sätze zusammengestellt (vollständiger Autograph von 1748 / 49).

9. September 2024, Wolfram Quellmalz

Wer das Werk einmal gesamt hören will, hat in der Dresdner Frauenkirche am 5. Oktober Gelegenheit dazu. Neben dem Kammerchor der Frauenkirche und dem ensemble frauenkirchedresden wirken dann Miriam Feuersinger (Sopran), Henriette Gödde (Alt), Tobias Hunger (Tenor) und Tobias Berndt (Baß) mit.

https://www.frauenkirche-dresden.de

Spendenaufruf für die Kirche Großröhrsdorf und aktuelle Informationen:

https://www.kirche-grossroehrsdorf.de/

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