Jooyeon Ka schließt Pianoforte-Fest ab
Im Mai hatte die dreifache Bach-Preisträgerin (Leipzig, Würzburg, New York) Hilda Huang das Pianoforte-Fest Meißen mit Fanny Hensels »Ostersonate« und Auszügen aus Bachs »Wohltemperiertem Klavier« eröffnet, nach weiteren Konzerten im Sommer feierten Besucher und die Unterstützer des Vereins zur Förderung der Klaviermusik e. V. (Meißen) am Mittwochabend im Landesgymnasium Sankt Afra den Abschluß der diesjährigen Reihe. Die Südkoreanerin Jooyeon Ka, kürzlich erst mit dem 1. Preis beim 65. Concurso Internacional de Piano Jaén (Spanien) ausgezeichnet, gehört zu den jenen jungen Talenten, die dem Publikum in den durch den Klavierbauer Thürmer präsentierten Konzerten (unter anderem mit einer eigenen Reihe in Bochum) neben arrivierten Pianisten immer wieder vorgestellt werden.
Natürlich stand auch diesmal ein Thürmer-Flügel auf dem Podium, als Jooyeon Ka Johann Sebastian Bachs Französische Suite Nr. 5 (BWV 816) anstimmte. Anders als in den Englischen oder den Cellosuiten beginnen die Französischem nicht mit einem Prélude, sondern einer gediegenen Allemande, welche die Pianistin beherzt in Angriff nahm. Schon hier zeigte sich ihr großer Gestaltungswille, eine Fähigkeit zum verfeinerten Piano und zu vielen Abstufungen zwischen den Temperamenten. Zumindest in den ersten schnelleren Sätze, Courante und Gavotte, geriet die Artikulation zunächst etwas verwaschen, was sich im Laufe des Abends aber besserte. Ohnehin zeigte sich, daß Jooyeon Ka nicht eine perfekte Wiedergabe anstrebte, sondern auf der Suche nach einem Ausdruck war. Mit der Gigue endete die Suite sehr vital.

Wie groß nicht nur ihr Gestaltungswillen, sondern ihr Gestaltungsvermögen ist, bewies Jooyeon Ka in Ludwig van Beethovens Waldstein-Sonate, der sie von Beginn an durch dynamische Formung eine große Spannung verlieh. Hatten zuvor noch die Verfeinerung bei Wiederansetzen eines Themas die Akzente gesorgt, lebte Beethovens 21. Klaviersonate nun durch agogische Verknüpfungen von Beschleunigung und Lautstärke auf – eine simple Linearität (schnell = laut, langsam = leise) vermied die Pianistin. Das Allegro con brio geriet ihr im Verlauf geradezu rasant – wiederum zugunsten der Spannung – bevor das mysteriöse Adagio molto gekonnt ins Rondeau überfloß. So ließ sich erkennen, daß Beethoven hier eine Befreiungstat gelungen war. Nebenbei zeigte sich auch der Klavierklang individuell, der – passend zum Freiheitsthema – bei getretenem Dämpfungspedal teilweise einen Glockenton hervorbrachte.
Nach der Pause wandte sich Jooyeon Ka zwei Werken zu, die ihrerseits Rückblicke enthielten, wobei sich der eine – unbeabsichtigt – als besonders treffend erwies, denn Claude Debussy hatte in den »Bildern« seines ersten Bandes der Images unter anderem eine Hommage à Rameau geschrieben – es war just der 341. Geburtstag Rameaus, an dem diese Hommage erklang! In der Form der Sarabande stand es zwischen Reflets dans l’eau (Reflexe auf dem Wasser) und Mouvement. Während sich im ersten Teil erneut zeigte, daß Jooyeon Ka kein vordergründiges Virtuosentum anstrebt, sondern gestaltete (hier: Farben), fand sie für die Hommage mit ihrer fließenden, von wenigen Baßtönen fundierten Melodielinie eine ausgesprochen geschmackvolle Gewichtung. Zwar nennt »Movement« im Englischen in der Musik allgemein einen Satz, das französische »Mouvement« bezeichnet jedoch vor allem den Charakter und »Bewegung«. Hier fand er äußerst lebhaft, einem Perpetuum mobile gleich, ihre Entsprechung.
Mit den Variationen und Fuge über ein Thema von Georg Friedrich Händel Opus 24 von Johannes Brahms gab es schließlich noch ein Werk, das sich zu seiner Zeit bereits zurückbesann. Dabei stehen Pianisten viele Wege der Interpretation offen: so können sie zum Beispiel versuchen, sich Händels originalem Cembalo zu nähern oder in Brahms‘ Salon begeben. Jooyeon Ka blieb bei Brahms, ließ ihn in den 25 Variationen aber ausschweifen, so daß es geheimnisvoll (nach Robert Schumann), »à la chasse« (Jagdatmosphäre), elegant (Clara Schumann) oder derb (Brahms selbst) klang, dann wieder keck oder dunkel. Dabei setzte die Pianistin die kleinen Pausen gezielt oder band Variationen sinnig zusammen, bis zum triumphalen Abschluß vor der Fuge. Denn auch das Forte, das im Namen des Musikfestes nicht weniger verankert ist als das Piano, feierte Jooyeon Ka auf dem Flügel. Eine Étude von Frédéric Chopin (Opus 12 Nr. 10 As-Dur) war die klangvolle Zugabe dieses Abschlußkonzerts.
26. September 2024, Wolfram Quellmalz