Ein Requiem für das Leben

Collegium 1704 musizierte Zelenka und Mozart

November – der graue, nasse Monat, nicht zuletzt ein Monat der Stille und des Abschieds. Stille? Abschied? Wer das Collegium 1704 gestern in der Dresdner Annenkirche erlebt hat, konnte etwas ganz anderes hören: Leben, wenn nicht Feuer – eine diesseitige Hinwendung und Feier des Lebens noch in einem Requiem.

Das begann schon mit dem Miserere c-Moll (ZWV 57) von Jan Dismas Zelenka (wir hörten es hier zum ersten Mal im Februar 2013). Das rhythmisch gepeitschte Stück, von Bogenvibrato getrieben, erregte im positivsten Sinne. Was instrumental selbstverständlich war, galt auch vokal: das Collegium Vocale 1704 gestaltete die Chorfuge und den anschließenden Text so flüssig, daß man überrascht feststellte, schon beim Gloria angekommen zu sein – hier verbanden sich alles himmlische und irdische in einem Chor. Sopranistin Veronika Rovná führte dieses brillant aus. Sie gehörte mit Margherita Maria Sala (Alt), Krystian Adam (Tenor) und Krešimir Stražanac zum Quartett der Solisten, das sich an diesem Abend unter anderem durch seine Gleichwertigkeit und Ausgeglichenheit auszeichnete.

Zelenka ist und bleibt ein Kandidat der permanenten Wiederentdeckung, erst recht mit diesem Ensemble – wie schön, daß das Collegium 1704 und Václav Luks ihn schon mehrfach aufgeführt und aufgenommen hat (CDs sind erhältlich). Mit dem Sicut erat schloß sich nicht nur der Kreis oder Zirkel des Textes, das erregende Tremolieren des Anfangs kehrte wieder.

Wie zu sich kommen? Václav Luks bot dafür eine der innigsten Kompositionen Wolfgang Amadé Mozarts: Adagio und Fuge c-Moll (KV 546). Das Werk paßte in seiner dunkel Schattierung zum Programm »Requiem«, hob dabei aber auch die besondere Qualität des Collegiums als Streicherorchester heraus – kraftvoll und »rund« schimmerte seine Homogenität. (Wer gern nachhören mag, dem seien die Quartettaufnahmen von KV 546 ans Herz gelegt, besonders mit dem Armida-Quartett).

Wer dachte, er kenne Mozarts Requiem KV 626, sah sich danach eines besseren belehrt. Natürlich erkannte man das Werk wieder, doch so lebhaft, glut- und lebensvoll dürfte es bis dato noch kaum jemand gehört haben! Bedächtig, mit den Fagotten über den Streichern, begann der Introitus, bald folgten die Holzbläser (Oboen) mit einer Kantabilität, die dem Solistenquartett nicht nachstand. Dem hymnischen Sopran scholl das kraftvolle »et lux perpetua« (ewiges Licht) des Chores nach. Václav Luks weiß, wie solche Strömungen zu zügeln sind, woraus folgt, daß er sich immer noch steigern kann, wie im Kyrie, das nicht bemüht, sondern dramatisch erklang. Blechbläser, vor allem Trompeten, und Pauken sorgten für ein Dauerfeuer, das aber von einem Verlauf geprägt und nicht strapaziös war.

Insofern war auch das Tuba mirum von aufregender Gestaltung, Veronika Rovná erklomm lerchenhafte Höhen. Den vielleicht tiefsten Eindruck hinterließ das Recordare mit seinen wechselnden Solo- und Duopassagen (Alt / Baß und Sopran / Tenor). Dem dunklen Orchesterklang wiederum stand die Helligkeit der Holzbläser gegenüber. Und da nicht der Effekt im Mittelpunkt stand, sondern Affekte den Text ausmalten, durften Blechbläser und Pauken im Confutatis das Feuer noch ein wenig mehr entfachen. Allerdings fand sich schon hier (Mittelteil) der Weg zur Beruhigung, das bedächtige Lacrimosa vertiefte diese Wirkung noch. Verblüffend – hier stellte sich keine Kontrastwirkung ein, die Musik blieb wie aus einem Fluß!

So sollte es bleiben – standen sich im Benedictus die Solisten noch gegenüber wie in einem von Mozarts Opernquartetten, bewies das Collegium Vocale 1704 kurz darauf, daß seine Gestaltungskraft auch im Piano liegt (»dona eis requiem« im Agnus dei).

8. November 2024, Wolfram Quellmalz

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