Variationenabend

Domorganist Sebastian Freitag an der Eule-Orgel des Dresdner Kulturpalastes

Domorganist Sebastian Freitag hatte uns schon kurz nach seinem Amtsantritt verraten, daß er das Werk Max Regers besonders schätzt und sich auf Möglichkeiten freut, dieses in Dresden aufzuführen. »Sein« Instrument, die Silbermann-Orgel von 1755 in der Hofkirche, ist dafür natürlich nur bedingt geeignet, auch wenn sich Regers Chromatik dort grundsätzlich darstellen läßt. Modernere Instrumente wie in der Kreuzkirche eignen sich weit besser, mit der Eule-Orgel im Kulturpalast hatte Sebastian Freitag am Mittwoch die wohl besten Voraussetzungen für seine Interpretation.

Wie schon eine Woche zuvor beim Dresdner Orgelzyklus standen nur drei Werke auf dem Programm: Johann Sebastian Bachs berühmte Chaconne d-Moll, Arno Landmanns Variationen über ein Thema von Händel sowie – quasi als Körnung – Introduktion, Variationen und Fuge über ein Originalthema fis-Moll von Max Reger. Dreimal also ging es um die Verarbeitung und Variation von Themen.

Die beiden Werke von Bach und Landmann, wiewohl zusammen kürzer als Regers Zyklus, legten jedes für sich einen eigenen Kosmos offen. Die Chaconne aus der Violin-Partita BWV 1004 hatte Amelie Held bearbeitet, die beide Instrumente beherrscht. Und sie darf als eine der besonders gelungenen Bearbeitungen gelten, wird sie doch dem Duktus der Violine wie der Orgel gleichermaßen gerecht. Den Auftakt nahm Sebastian Freitag ausgesprochen kräftig, fast Grell – eine Vehemenz, die zum Beginn paßte und gleich herausstellte, daß die Orgel hier eigenständig wirken, also klingen darf und nicht die Violine imitieren soll. So durften chromatische Läufe aufblühen, Tonlagenwechsel belebend umschlagen, dynamische Richtungsänderungen und Schattierungen blieben immer klarsichtig. Wer mochte – sicher kannten viele Besucher die originale Chaconne gut genug – konnte immer wieder Vergleiche zwischen Original und Bearbeitung anstellen, auch ohne Noten dabeizuhaben.

Domorganist Sebastian Freitag an seinem »Hausinstrument«, der Silbermann-Orgel in der Katholischen Hofkirche Dresden, Photo: NMB

Und ähnlich, wenn auch ganz anders, ging es weiter, denn hier kannte wohl jeder Händels Original, das Arno Landmann auf die Orgel gebannt hatte. Mit dem vollen Plenum geriet es eindrucksvoll, offenbarte mit glissandoähnlichen Effekten, sich öffnenden Registern, eine interessante Auslegung bzw. Umsetzung. Den virtuosen Schwung meisterte Sebastian Freitag ohne Mühe – dafür gab es schon einmal das erste »Bravo«.

Nach Regers monumentalem Werk sollten diese sich noch häufen. Der Komponist hat wahrlich die Grenzen des faßbaren verschoben, das gilt auch heute noch. Leider war der Konzertsaal, wie es zum Orgelzyklus im Kulturpalast üblich ist, mit ordinär kräftigen Farblichtern ausgestattet, Leuchtstäbe auf der Bühne, die Orgel wechselweise rot und blau, der Saal für das Spektakel abgedunkelt. Musikalisch hatte das natürlich keinen Wert, dafür schränkte die Show die Zugänglichkeit ein, denn bei so stark abgedunkeltem Licht ließ sich das Programmheft während der Aufführung nicht lesen, was schön gewesen wäre, denn der Domorganist hatte die Variationsfolge aufgeschlüsselt. Mancher hätte dies sicher gern verfolgt – so bekannt wie die »Goldbergvariationen« ist das Werk schließlich nicht!

Daß Reger hinsichtlich Dramaturgie und Chromatik sowie sonstiger Klangbeeinflussung, Bach und Händel bzw. Held und Landmann übertraf, kann man so eigentlich gar nicht sagen. Er ging schlicht andere Wege und bleibt ein Solitär. Dieses Aufbrechen und Umwandeln zu verfolgen, war höchst bemerkenswert, nicht zuletzt – ein Vorteil des Konzertsaales und des mobilen Spieltisches – in der Beobachtung. Denn anders als in den drei Kirchen des Orgelzyklus kann man den Spieler hier agieren sehen, wie er Tasten und Pedale bedient sowie jene Sonderfußhebel für das Schwellwerk.

Rein akustisch ergaben sich dabei nicht nur monumentale Läufe und virtuose Sprünge, Reger schien mit Tönen einen ganzen Raum zu gestalten! Expressiven Ausformungen folgten schimmernde Zwischenspiele, ein wenig wie Mussorgskys »Promenaden« in den »Bildern einer Ausstellung«. Ein wenig unerhört, nicht von dieser Welt und einzigartig waren Introduktion, Variationen und Fuge über ein Originalthema schon!

Für den Applaus bedankte sich Sebastian Freitag mit der »Morgenstimmung« von Edvard Grieg.

14. November 2024, Wolfram Quellmalz

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