Collegium 1704 und Regieduo SKUTR mit pfiffiger »Platée« am Prager Nationaltheater
Märchen oder Stoffe, die mythische und Zauberwesen aufgreifen, passen in die Weihnachts- oder Vorweihnachtszeit – als Anlaß für die ganze Familie – besonders auf die Opernbühne. Die Neuen (musikalischen) Blätter nutzten am Freitag die Gelegenheit, das Nationaltheater Prag (Národní divadlo) für eine Vorstellung von Jean-Philippe Rameaus »Platée« zu besuchen. Das Haus im Neorenaissancestil ist allein schon einen Besuch wert und versprüht großen Charme – glücklicherweise nicht als Museum oder ein Ort »von früher«, sondern als Theater mit einem regulären Spielbetrieb.

Zu den Gastensembles, die hier auftreten, gehört nun auch das Collegium 1704 mit Václav Luks – wir hatten 2022 bereits »Alcina« mit dem Collegium in Brno besucht und die Aufnahme von der Rameau-Oper »Les Boréades« rezensiert. Am Nikolaustag kam die Ballettkomödie »Platée« dazu, ein Stück, das wir zuletzt 2019 an der Semperoper erlebt hatten (Inszenierung von Rolando Villazón, Musikalische Leitung: Paul Agnew).
DAS STÜCK
Was passiert, wenn der Erfinder des Dramas Thespis in Trunkenheit Bacchus besingt, wenn Thálie und Momus spotten und Juno wegen deren Eifersucht eine Lektion erteilen wollen? Amor kommt und erklärt allen, daß kein Spiel ohne Liebe sein kann – und entwirft einen Plan: die Menschen sollen von ihrer Lächerlichkeit befreit und die Götter bloßgestellt werden!

Das Spiel beginnt – Jupiter bekommt den Auftrag (sein Anteil am Spiel), Platée, einer häßlichen Sumpfnymphe, zum Schien einen Heiratsantrag machen. Jupiters Frau Juno soll die beiden bei einer (selbstverständlich gespielten) Hochzeitsfeier »erwischen«. Dumm nur, daß Platée aus Naivität, wegen einer übersteigerten Hybris oder weil sie schlicht nicht »durchschaut« glaubt, alle, die sich ihr nähern, seien unsterblich verliebt in sie – Platée nimmt das Spiel ernst. Sehr zur Freude der anderen zunächst.

Natürlich spielen dabei alle Versteck und geben falsche Gründe an – Juno wird bei der Anreise umgeleitet, Clairine löst einen Sturm aus, der die Nereiden zumindest vorübergehend vertreibt. Am Ende gelingt das eigentlich nicht sehr feine Spiel – Juno erkennt ob der Häßlichkeit Platées, wie unberechtigt ihre Eifersucht war, doch Platée ist nicht nur hinters Licht geführt, sondern als Gedemütigte die eigentlich Hauptleidtragende bei diesem »Spaß«.
DIE INSZENIERUNG
Leicht ließe sich aus diesem Spiel um »anders sein« ein moralisierendes Lehrstück machen. Es in unsere Zeit übertragen, die Geschlechter oder Verhältnisse umkehren zum Beispiel. Kann man machen – muß man aber nicht. Denn schon anno 1745 waren die Rollen von Herrschaft und Dienerschaft, Mann und Frau, von Gut und Böse wie von Schön und Häßlich nicht nur bekannt, getrennt und begrenzt, sondern im Wertekanon verankert – und es gab Übergänge. (Sonst hätte »Platée« auch kein Spaß sein können.)

Dem Regieteam »SKUTR« (Martin Kukučka und Lukáš Trpišovský) ist es mit Leichtigkeit gelungen, das frech-boshafte Spiel lustvoll auszumalen. Ganz ohne Moralkeule bekommt jeder hier sein »Fett« weg, selbst die völlig irregeführte und verdrehte Platée – geschieht ihr das »Mißgeschick« nicht ein wenig zu Recht?
Wie dem auch sei: bei Martin Kukučka und Lukáš Trpišovský darf (fast) jeder sein, wie er ist, schließlich hat doch ein jeder seine Verschrobenheiten – oder wollte jemand behaupten, es wäre heute anders? Nein! SKUTR findet gerade in den individuellen Persönlichkeiten und Beziehungen jede Menge Witz, den sie als Interaktion ins Spiel einbinden. Das gelingt nicht nur frei von jeglicher Kalauerei oder bloßer Slapstick, es befreit das ganze Spiel, beginnend mit Thespis, der sich trunken auf den Resten eines bacchantischen Büfetts räkelt – ja, man darf ohne schlechtes Gewissen in dieser Vorstellung lachen!

Die Kostüme (Simona Rybáková) sind nicht unwesentlich beteiligt, die Charaktere auszuzeichnen, zu überzeichnen. Beginne d bei der froschähnlichen Nymphe auf Stöckelschuhen – Platée muß selbstredend eine tiefe Stimme haben und wird mit einem Baß besetzt. Gewitzt und pfiffig unterstützt auch die Bühne von Jakub Kopecký das barocke Feuerwerk. Das Terrarium als Spielzeug der Götter aus dem Prolog, als der Plan entworfen wird, wächst im nächsten Bild zur realen Bühnenumgebung und zum Lebensraum Platées …
DIE AUFFÜHRUNG
Französischer Barock liegt dem Collegium 1704 schlicht – längst haben sie den Kreis italiensicher, böhmischer und deutscher Komponisten erweitert, das haben nicht erst die letzten Projekte gezeigt. Insofern kann man sich auf das Konzert der Musikbrücke Prag – Dresden im Februar nur freuen, wenn sie eine Suite von François Francœur spielen werden. Václav Luks führt auch hier mit »leichter Hand«, will heißen: der Spielfluß steht im Mittelpunkt, Luks beschränkt sich oft auf kleine richtende Handzeichnen, ordnet, prägt aber dem Geschehen keinen Stempel auf, sondern beläßt das Bühnengeschehen im Mittelpunkt. Das glückt dem Collegium 1704 offenbar leicht, denn die Musik kann sozusagen frei atmen. Das ist nicht zuletzt deshalb wichtig, weil die Ballettkomödie (Ballet bouffon) viele szenische oder unterstreichende Ballettnummern enthält. Noch vor den Sängern und dem großartigen Chor sollten diese Tänzerinnen und Tänzer genannt werden, die fast ständig auf der Bühne sind, dazwischen keine Pausen haben, sondern sich permanent umziehen müssen. Die Choreographie (Jan Kodet) jedoch beglückt klassische Ballettfreunde ebenso, wie sie jenen gefällt, welche vor allem den Szenen der Geschichte folgen.

Mittelpunkt ist selbstredend Marcel Beekman als Platée im grünen Glitzerkleid. Frech und ein wenig frivol nimmt er (sei) sich von der Welt, was er (sie) haben kann – im Grunde doch genau wie Jupiter, Juno oder Amor? Dabei fällt auf: auch eine eher quakende Nymphe – wie eingangs der trunkene Thespis von Ruairi Bowen – will gestaltet sein. Anderenfalls klänge es nur häßlich oder unverständlich (oder beides) und das machte gerade keinen Spaß.

Manche der Protagonisten kennen wir bereits aus der Musikbrücke. Tomáš Šelc (Satyr) gehörte schon dort oft zu den Chorsolisten. Hier stattete er seinen feurigen Baßbariton mit einer Spur teuflischer Hintergründigkeit aus. Trotz aller »Bekanntschaft« übertraf Pavla Radostová noch die bisherigen Eindrücke, denn als Amor und Clarine-Darstellerin fügte sie ihrem Gesangspart noch mit Freude spielerisches Können hinzu. Stimmlich ohnehin mit einem strahlenden Sopran ausgestattet, zeigte sie jetzt noch dessen beeindruckend tragfähige »dunkle Seite«, wo Pavla Radostová scheinbar mühelos in eine goldene Alt-Lage überglitt – die Frau verfügt über eine erstaunlich Tessitura! Mit Olga Jelínková (als Thálie mit einem alles entzündenden Blitz ausgerüstet) und Lukáš Zeman (Momus) vervollständigte sich das Solistenensemble.
9. Dezember 2024, Wolfram Quellmalz
Jean-Philippe Rameau »Platée«, Nationaltheater Prag, Regie: SKUTR, mit Václav Luks (Musikalische Leitung), Marcel Beekman, Tomáš Šelc, Pavla Radostová und anderen, wieder am 11. und 20. Dezember sowie im Mai und Juni 2025
Alle drei Prager Opernhäuser lohnen immer wieder einen Ausflug von Dresden nach Prag. Vor gut zwei Wochen sah ich eine packende, sehr empfehlenswerte Inszenierung der Opernrarität „Šárka“ von Zdeněk Fibich ebenfalls im Nationaltheater. Und apropos Lachen: Dem Autor lege ich einen Blick in die Dezemberausgabe des Satiremagazins TITANIC nahe, dort Seite 20f. Bzw. hier: https://www.instagram.com/p/DDJj1-OMrcz/?img_index=1