Weihnachtsoratorium mit dem Dresdner Kreuzchor
Auch im dritten Jahr und der dritten Aufführungsserie unter der Leitung von Kreuzkantor Martin Lehmann überzeugt und vor allem: berührt das Weihnachtsoratorium mit dem Dresdner Kreuzchor. Am Wochenende gab es wieder dreimal die Kantaten 1 bis 3 aus Johann Sebastian Bachs BWV 248, dazu erstmalig am Freitagvormittag zusätzlich vor der ersten Aufführung eine gekürzte Fassung für Schüler. In der Mitte der Adventszeit bedeutete dies für viele Besucher eine Steigerung in der Festlichkeit und vielleicht schon den musikalischen Höhepunkt, zumindest vor den Feiertagen.
Wie schön, daß der Chor derzeit, trotz vieler Dienste und Konzertreise, ausgeruht und entspannt scheint, sieht man der mit dem Auftritt verbundenen positiven Anspannung ab. Das strich am Freitag nicht nur die Festlichkeit des Eingangschores sowie bei »Herrscher des Himmels« in der dritten Kantate heraus, das sorgte vor allem in den Chorälen für besonders innige, wiewohl unterschiedliche Momente, denn Martin Lehmann legte wieder viel Gewicht auf die Gestaltung dieser Teile. Der Sanftheit der Frage in »Wie soll ich dich empfangen?« stand mit »Ich will dich mit Fleiß bewahren« eine standfeste Aussage gegenüber, welche die Betonung (also das Versprechen) auf »voller Freude ohne Zeit« legte. Doch auch in Gruppen, wenn etwa die Soprane dem Baß-Solisten gegenüberstanden (»Er ist auf Erden kommen arm«) sowie in der Folge Rezitativ (»Und alsbald war da bei dem Engel«) und Chor (»Ehre sei Gott in der Höhe«) hatten Effekte keinen Selbstzweck, sondern dienten der affektiven Gestaltung oder mehrten die Spannung.

Die Dresdner Philharmonie, wieder in konzertierender Gruppe um Konzertmeisterin Heike Janicke und Basso continuo um Cellist Ulf Prelle (Orgel: Johanna Lennartz, Cembalo: Kreuzorganist Holger Gehring) konnte sich erneut auf das zielgerichtete Dirigat von Martin Lehmann verlassen. Das ist keineswegs eine Selbstverständlichkeit: oft bleiben Kantoren auf Chor (bzw. Kantorei) und Sänger konzentriert oder haben gar nicht gelernt, ein Orchester zu führen. Insofern war es kein Problem, daß die Philharmonie zu Beginn noch nicht ausgewogen schien – die Streicher blieben im Eingangschor deutlich unter den Bläserstimmen. Im Verlauf machte Martin Lehmann dies bald wett. Unter den Solisten ist vor allem Marianna Julia Żołnacz zu nennen, deren sagenhaftes Flötensolo aus dem Nichts zu kommen schien, so fein war ihr Piano-Ansatz. Nicht nur der Choralbegleitung oder der Tenorarie »Frohe Hirten, eilt, ach eilt« verlieh sie damit Glanz, in der Altarie »Schlafe, mein Liebster, genieße der Ruh« verschmolz sie praktisch mit der Stimme von Marie Henriette Reinhold, so daß sich gar nicht sicher sagen ließ, wer von beiden den Ton formte oder welche Anteile hatte.
Die erfahrene Altistin sorgte ohnehin für ein paar der beglückendsten Momente in diesem Oratorium – die großartigen Arien von Johann Sebastian Bach erfahren einfach noch einmal eine Überhöhung, wenn sie so delikat vorgetragen werden. Ihre Gediegenheit war ein eleganter Mantel für die Ausdruckskraft von Marie Henriette Reinhold – sagenhaft!
Marie-Sophie-Pollak (Sopran) ist fast ebenso erfahren wir die Altistin und sorgte mit ihrer Brillanz dem Duett Evangelist und Engel »Fürchtet Euch nicht« für himmlisches Funkeln. Freilich hat der Sopran in den ersten Kantaten noch keine ausgewiesene Arie als Wirkungsfläche.

Deutlich hinter den beiden und hinter den Erwartungen blieben (zumindest in dieser ersten Aufführung) Raphael Höhn als Tenor bzw. Evangelist und Baß Christian Immler. Raphael Höhns sehr helle Stimme klang manchmal mehr nach Countertenor als nach Tenor, auch blieb sein Ausdruck als Evangelist eher blaß. Für den großen Raum genügte seine Stimme oft nicht, so daß die Verständlichkeit mitunter zurückblieb. Christian Immler bewältigte seinen Part zwar Ausdrucksstark, aber mit deutlichem Bemühen bzw. Technik (Vibrato), gewann aber im Verlauf an Souveränität, was ihm an den folgenden beiden Abenden beflügelt haben mag.
14. Dezember 2024, Wolfram Quellmalz
Dresdner Kreuzchor, Johann Sebastian Bach, Das Weihnachtsoratorium (BWV 248), Kantaten 4 bis 6 am 11. Januar in der Dresdner Kreuzkirche, Leitung: Kreuzkantor Martin Lehmann, Solisten: Rinnat Moriah (Sopran), Susanne Langner (Alt), Benedikt Kristjánsson (Tenor) und Tobias Berndt (Baß) https://kreuzkirche-dresden.de