Vereinte Kräfte für eine stille Botschaft

Neujahrskonzert des Dresdner Kammerchores im Zeichen der Erneuerung

Die Erneuerung geschieht immer aus dem Leben heraus. Das Beginnen zieht seine Kraft und Inspiration oft aus einem Hervorgegangen, einer Elterngeneration oder einem initialen Ereignis. Das läßt sich auch auf den Weihnachtskreis übertragen.

So hatte der Dresdner Kammerchor gestern in der Dresdner Frauenkirche ein »zarteres Programm« (Leiter Hans-Christoph Rademann) zusammengestellt, zarter und leiser als am Montag nach dem 1. Advent, als er – wenige Meter entfernt nur – im Kulturpalast mit freudiger Kraft auf das Weihnachtsfest vorausblickte. Programm, Tag und Haus trugen zu einer etwas anderen Stimmung bei, und selbst »Es ist ein Ros‘ entsprungen« in der Fassung von Jan Sandström nach Michael Praetorius, das bereits am 2. Dezember erklungen war, wurde so in ein etwas anderes Licht gerückt.

Giovanni Bellini »Maria mit dem Kind« (etwa 1460, Tempera auf Pappelholzpaneel, 66,3 cm x 48,6 cm), Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin, Bildquelle: Wikimedia commons

Wie von weit entfernt kam diese Ros‘ – auf schwedisch gesungen diesmal – ins Kirchenschiff gedrungen. Fast wie ein Lichtschein, der sich milde ausbreitet. Der Dresdner Kammerchor, mit allen aktiven Mitgliedern um seinen Kern in (fast) größtmöglicher Besetzung von über 30 Sängerinnen und Sängern, konnte hier in drei Teilchören Text, Summton (Stimmung) und einzelne Kantilenen wirkungsvoll zusammenspielen lassen. Eine schwebende Ruhe, die nach dem Silvesterkrach guttat!

In dieser Ruhe verharrte zunächst noch »Ich steh an deiner Krippen hier« im Satz von Johann Sebastian Bach, in der ersten Strophe mit Solo und Orgelbegleitung, in den folgenden a cappella vom ganzen Chor vorgetragen. Doch die Kraft wuchs bereits spürbar von Vers zu Vers. Spätestens bei »Ich sehe dich mit Freuden an« hatte diese Kraft ein Durchsetzungsvermögen erreicht, das lebendig vom Neuanfang kündete, auch arbeitete Hans-Christoph Rademann die Kontraste der Zeilen noch konturierter heraus.

Mit der Motette »Singet dem Herrn ein neues Lied« (BWV 225) fand diese Gestaltungskraft ein dramaturgisches Ventil. Nun zweichörig mit großem Abstand stehend, stellte sich ein Effekt her, der aus anfänglichem Hin- und Herwogen eine unglaubliche Emphase entwickelte – das dürfte im großen Kirchenraum noch die hintersten Reihen und obersten Emporen berührt haben! Mit dem Schlußchoral erreichte der Kammerchor eine überwältigende Wirkung – der folgende, berechtigte Zwischenapplaus war damit praktisch vorprogrammiert.

Zeit für eine kleine Umbaupause, denn der Chor teilte sich erneut und anders. Für »Miserere mei, Deus« (Gott, erbarme dich meiner) von Gregorio Allegri traten Tenöre im Altarraum in die hintere Mitte, während ein Solistenquartett die Chorempore erklomm, um von dort den Tenören auf deren gregorianische Passagen zu antworten. Auf den emotionalen Überschwang bei Bach folgte ein bekennender Gebetstext. Die Emphase wurde also durch einen ganz auf das Innere gerichteten Text und dessen konzentrierte Wirkung ersetzt, die Spannung hielt dabei verblüffend an. Schade nur, daß es in der Frauenkirche mit einer recht fragwürdigen Nachhaltigkeitsbegründung keine Programmhefte mehr gibt und der digitale Ersatz nur die früher gedruckten Vorlagen als pdf-Datei enthält, aber nicht im Format an die Endgeräte (also Smartphones) angepaßt wurde. So ließen sich zumindest Text und Übersetzung nicht wirklich verfolgen.

Bei Max Regers Neujahrslied »Das alte Jahr vergangen ist« war dies dann gar nicht nötig. Interessant blieb der Kontrast innerhalb des Gesamtprogramms, denn nach Allegris auf den Text orientierter Struktur trat nun wieder das ursprüngliche Kirchenlied bzw. die Choralmelodie tragend in den Vordergrund.

Mit Felix Mendelssohn Bartholdys »Herr Gott, du bist unsre Zuflucht« (Opus 79, Nr. 2) und »Schaffe in mir, Gott, ein rein Herz« von Johannes Brahms (Opus 29) bewies der Dresdner Kammerchor, zu welch großem, volltönend-reichem und romantischem Chorklang er fähig ist. Dabei übertraf Brahms spürbar den zarteren Mendelssohn, obwohl zwischen beiden Stücken Johann Sebastian Bachs Concerto G-Dur (BWV 592) erklang. Matthias Süß war dafür von der Continuo-Orgel an die große Kern-Orgel gewechselt, die für Bach wie geschaffen scheint (schließlich war das moderne Instrument an der ursprünglichen Silbermann-Orgel orientiert). Das frohe Licht des Allegro ging im Presto des letzten Satz allerdings ein wenig in den Unsicherheiten verloren, die sich zwischen die allzu flinken Läufen mischten.

Doch die Kern-Orgel durfte sich noch einmal in Szene setzen: zu Arvo Pärt »The beatitudes«. Die Seligpreisungen folgen zwar einer scheinbar monotonen Textwiederholung, beginnend mit »blessed ware …« (Selig sind …), doch über die Versform gewinnt das Stück einen Gebetsrhythmus, den die Orgel zunächst mit einem stehende Baßton Grundfestigkeit verlieh, bevor sie zum »Amen« ins Hauptwerk wechselte.

Noch einmal kontrastreich verabschiedete sich der Dresdner Kammerchor vorläufig mit »O Herr, mache mich zum Werkzeug deines Friedens« von Kurt Hessenberg (Opus 37, Nr. 1). Der schlicht, fast spröde wirkende und mit wechselnden Stimmen (Männer und Frauen) vorgetragene Text erfuhr schließlich eine klangvolle harmonische Anreicherung.

Zarter, nachdenklicher – das galt auch für die Zugabe, Anton Bruckners »Os justi«, dessen »Halleluja« leiser ausfiel, was seine Wirkung aber nicht minderte.

2. Januar 2025, Wolfram Quellmalz

Den Dresdner Kammerchor können Sie im April mit der Johannes-Passion (Bielefeld) und im Mai mit Händel (Dresden) erleben. Zuvor gibt es ihn schon in wenigen Tagen, am 12. Januar auf HR2 (Sendung Geistliche Musik ab 6:00 Uhr mit Heinrich Schütz). https://www.dresdner-kammerchor.de

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