Frühlingskonzert des Junges Sinfonieorchesters Dresden
Darüber, welche Jahreszeit die erste sei, kann man unterschiedlicher Meinung sein. In der Regel beginnt die Aufzählung mit dem Frühling. Das Jahr jedoch fängt mit dem Winter an. Etwas genauer nehmen es die Japaner, für die Neujahr ein so wichtiger Termin ist, daß sie ihn als erste Jahreszeit verstehen – sie haben also fünf. Das läßt sich noch in Haiku und Tanaka nachvollziehen, einer Dichtkunst, die jahreszeitlich stark geprägt ist und im Heimatland nicht nur von Dichtern, sondern von fast jedem gepflegt wird. Die Schülerinnen und Schüler des Sächsischen Landesgymnasiums für Musik haben die Miniaturen so inspiriert, daß sie für ihr Frühlingskonzert am Donnerstag im Dresdner Kulturpalast eigene Haiku verfaßten. Einige davon waren im Programmheft abgedruckt, weitere wurden über die Bühne projiziert. Manche der Haiku waren reizvoll, ja zauberhaft (Blütenmeer erwacht | Ein Windhauch streichelt mich sanft | Träume fliegen weit)!
Natürlich stand trotzdem die Musik im Mittelpunkt, das wurde schon bei der Ankunft deutlich, denn im Foyer empfingen die Schüler die Besucher mit Instrumentalensembles und einem Chor und gaben sorgten mit Kostproben für Einstimmung. Drinnen im Saal präsentierte sich das Junge Sinfonieorchester Dresden des SLGM in wechselnden Besetzungen. Nicht nur, weil diese von Haydn bis Strauss unterschiedlich ausfielen, sondern weil es gerade unter den Bläsern mehr Stimmen gab, als die Werke anboten, und durch den Wechsel niemand »außen vor« bleiben mußte.
Die Leitung lag in den Händen von Bruno Borralhinho, vielen als Mitglied der Cellogruppe in der Dresdner Philharmonie bekannt, aber eben auch als Leiter, unter anderem des Ensemble Mediterrain. Er bewies vor allem einen Sinn für dynamische Verläufe und Strukturen, was sich schon zu Beginn in Joseph Haydns Sinfonie Nr. 49 »La passione« zeigte. Der Titel zielt nicht auf die Passionszeit vor Ostern, sondern die Passion im Sinne der Leidenschaft. Das wurde hier ganz vorzüglich deutlich, denn wiewohl in einem damals schon sehr traditionellen Stil verfaßt, dem der Kirchensonate mit festgelegten Sätzen, erwies sich Haydn selbstverständlich als erfindungsreich. Das Adagio, das in Streichern zu erwachen schien, erhielt erst durch Hörner und Fagott eine dunkle Note, bevor die Holzbläser – wie Vogelstimmen – für Aufhellung sorgten. Es lag also durchaus Frühling in dieser Sinfonie!
Mit Frederick Delius »Idylle de printemps« und Lili Boulangers Tondichtung »D’un matin de printemps« trat er dann bildhaft hervor. Während er bei Delius dichtes Wachsen und Erblühen ahnen ließ, zeigte sich Lili Boulangers Frühling trotz bisher größter Orchesterbesetzung luftiger, aber auch raffinierter. Die vielen Soli waren gut abgestimmt, in kleinen Wellen durfte die Jahreszeit hier wachsen. Der groß ausgemalte Tonraum enthielt zahlreiche zarte Momente, wie das Violinsolo, als singe eine Lerche im Gras.
Die Konzentration auf den Frühling enthielt jedoch ein wenig Gleichmaß – etwas mehr Entfernung vom Thema wäre dramaturgisch vielleicht ausgewogener gewesen. Auch die Einblendung der Haiku – so reizvoll sie waren – sorgten für Übersättigung (im Programmheft waren sie dagegen gut aufgehoben). Nicht zuletzt, weil hier ja keine asiatische oder japanische Musik erklang, sondern teils ganz andere Aussagen getroffen wurden. Die mit Verlaub verlogenen Tränen der Frau in Antonín Dvořáks »Die Waldtaube« (sie hat ihren Gatten umgebracht und »betrauert« ihn nun) hatte mit jenen des Haiku, das sie symbolisch und schmerzlich auffaßt, nichts gemein.
Was aber die Musik nicht schmälern soll. Mit einer weiteren Tondichtung, Jean Sibelius‘ »Frühlingslied«, offenbarte das Junge Sinfonieorchester Dresden seine Qualitäten in Kantabilität und liedhafter Darstellung. Auf den fast hymnischen Frühling des Finnen folgte – musikalisch korrekt – Dvořáks schicksalhaft dunkle »Waldtaube«, deren Aufhellung wegen des düsteren Hintergrunds eben nicht anhaltend blieb.
Um so leichter und beschwingter verabschiedeten die Schüler des SLMG mit Johann Strauss‘ (Sohn) Walzer »Rosen aus dem Süden« ihr Publikum.
21. März 2025, Wolfram Quellmalz
