Sammler und Schreiber

Musikalische Vespern in der Schloßkapelle Moritzburg starteten mit Dresdner Schriften

Moritzburg ist ein beliebtes Ausflugsziel, und wenn in der Schloßkapelle ab Mai die Musikalischen Vespern beginnen, lohnt es allemal, dann lassen sich Besucher nicht einmal von kalten Regengüssen abhalten. Am vergangenen Sonntag war es wieder soweit: Ulrike Tietze und ihre Mitstreiter präsentierten Musik aus Dresdner Handschriften. Nicht zum ersten Mal übrigens, ganz im Gegenteil: in den bisher 175 (!) Vespern hatten sie schon mehrfach aus dem Fundus des berühmten »Schranck No. 2«, der sich heute im Bestand der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden befindet, geschöpft. Am Beginn des 36. Jahrgangs der Vespern gab es daraus eine Blütenlese, die in absehbarer Zeit nachgelesen, also -gehört werden können soll: Ulrike Titze (Violine), Guido Titze (Oboe), Adrian Rovatkay (Fagott) und Jan Katzschke (Cembalo) bereiten eine CD vor.

Dabei ist besagter »Schranck No. 2« nicht nur Fundstelle an sich, sondern spiegelt gleichzeitig einen Zeitverlauf und historische Umstände wider. Wesentliche Bestandteile hatte der Dresdner Kapellmeister Johann Georg Pisendel zusammengetragen. So finden sich neben eigenen überlassene oder dedizierte Werke sowie Bearbeitungen oder Varianten. Solche entstehen, wenn Musiker sich etwas für ihr Instrument ab- und umschreiben oder wenn ein Concerto – um Adagio-Einleitungen versehen – für den Gebrauch im Gottesdienst eingerichtet wird. Fehler übrigens inclusive – fehlende oder verlorene Stimmen wie versehentliche (Ab)schreibfehler können also gleichfalls zu neuen Fassungen beitragen.

Links: Heinrich Franke, Bildnis Johann Georg Pisendel, Churfürstlich Sächsischer Concertmeister (Kreidezeichnung, 1770), aus der Sammlung von Carl Philipp Emanuel Bach, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, rechts: Georg Lichtensteger: Portrait von Georg Philipp Telemann (Kupferstich, circa 1745), Bildquellen: Wikmedia commons

Manchmal gilt es daher, das Material aufzuarbeiten und einzurichten, bevor man es aufführen kann. Doch damit sind die Musiker erfahren und hatten ihr Florilegium entsprechend zusammengestellt. Also durfte Melchior Hoffmanns Sonate für Oboe, Violine und Basso continuo nicht fehlen. Hoffmann, erklärte Ulrike Titze, sei als Dresdner Kapellknabe aufgewachsen und später in Leipzig Telemanns Nachfolger geworden. Als er eine längere Auslandsreise unternahm, wurde er von Johann Georg Pisendel vertreten – so schließen sich die Kreise. Melchiors Sonate hielt dem Wetter draußen ein sonniges Adagio entgegen, bevor sich im Allegro Oboe und Violine abwechselten. Doch schon hier zeigte sich, daß das Fagott nicht weniger virtuos gespielt werden wollte. Das steigerte sich in Melchiors Vivace noch um ein paar Grade. Bei Johann Friedrich Fasch (Mus. 2423-Q-12) wurde der Basso continuo dann zur vollwertigen dritten Stimme einer Triosonate.

Die Verbundenheit der Komponisten und daß Johann Georg Pisendel ein musikalischer Europäer gewesen ist, nahm Pfarrer Stephan Löwe als Ausgangspunkt für sein Geistliches Wort, in dem er darauf verwies, welche Vielfalt der Welt damals nach Dresden kam und hier gesammelt wurde. Musik und Kunst seien mit Dialog und Begegnung verbunden gewesen und mit immer neuen Wegen, wie es der oft vertonte Psalm 98 (»Singet dem Herrn ein neues Lied«) zeige.

In diesem Sinne standen auch zwei Sonaten von Johann Pfeiffer und Georg Philipp Telemann. Während bei Pfeiffer eine große Eleganz zu spüren war und die Geläufigkeit des Cembalos den Basso continuo einmal allein darstellen durfte, trumpfte Telemann mit rhythmischen Punktierungen auf und gewandete seine Sonate (TWV 42:g12) recht modern und dreisätzig, wobei die virtuosen Ecksätze hervorgehoben waren, während das Largo dazwischen einem gediegenen Intermezzo entsprach.

Bei der Sonate des Kapell- und Violinmeisters Pisendel mußte dann die Oboe einmal schweigen bzw. der Violine den Vortritt lassen. In der Begleitung nur mit dem Cembalo verwies sie fast auf die Vorklassik, wobei Ulrike Titze und Jan Katzschke die Ausdruckstiefen ihrer Instrumente emphatisch ausloteten – die alten Violinen mit Darmsaiten gehen noch etwas mehr zu Herzen!

Ob Georg Friedrich Händel anno 1719 nun in Dresden zur Kurfürstlichen Hochzeit zugegen war, ist nicht gesichert. Viele meinen, es sei so gewesen (und Händel habe bei dieser Gelegenheit Sänger für sein Unternehmen am Londoner King’s Theatre verpflichtet). Seine Werke waren auf jeden Fall ebenso beliebt wie verbreitet, nicht nur durch Kollegen wie Pisendel oder den Dresdner Flötisten und Flötenbauer Johann Joachim Quantz. Daß Händels Sonate F-Dur auf gleich zwei Quellen im »Schranck No. 2« zurückgeht, ist also nicht ungewöhnlich. Das Quartett konnte sich dabei noch einmal auf einen Klanggipfel schwingen.

19. Mai 2025, Wolfram Quellmalz

Die nächste Musikalische Vesper in der Schloßkapelle Moritzburg findet am Pfingstmontag statt.

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