Palastorganist Olivier Latry nahm (vorläufig?) Abschied von Dresden
Olivier Latry, Titularorganist von Notre-Dame de Paris, hat schon mehrere Residenzen als Dresdner Palastorganist erlebt. Er war gleich der erste, bekam eine Verlängerung seiner Amtszeit, wurde wiederernannt. Viele herausragende Rezitale und Konzerte mit der Dresdner Philharmonie hat er gespielt, Musik seines Kollegen Thierry Escaich aufgeführt. Nicht nur gespielt, sondern dem Publikum nähergebracht. Die Konzerte mit dem Orchester der Philharmonie, mit phil Blech Wien, Emanuel Pahud oder Éric Le Sage sind ihm besonders in Erinnerung geblieben. »Es ist immer eine große Freude, hier zu spielen, obwohl ich mich heute ein wenig traurig fühle« sagte Olivier Latry am Mittwoch im Kulturpalast und bedankte sich bei der Dresdner Philharmonie und deren Administration für die stets gute Zusammenarbeit – vieles sei ein Experiment gewesen.
In dieser Weise konnte man auch das letzte Konzert seiner Amtszeit sehen, denn es standen ausschließlich Bearbeitungen orgelfremder Werke auf dem Programm. Das wollten aber viele hören, so viele wie wohl seit der Orgelweihe nicht – für das Konzert im Rahmen der Dresdner Musikfestspiele waren Plätze auf allen Rängen verkauft worden, noch unter der Orgel, und sogar die seitlichen Choremporen waren fast restlos besetzt!
Zu hören gab es viele tänzerische Werke und Ballettmusik. Olivier Latry und seine Frau Shin-Young Lee, die das »Orgel hoch zwei« gemeinsam spielten, vollführten ein Ballett mit den Füßen auf den Pedalen, es wurde aber auch überraschend viel gestampft! Wie im »Tanz der Wilden« (»Danses des sauvages«) von Jean-Philippe Rameau, in Béla Bartóks Rumänische Volkstänze ist es ebenso programmatisch enthalten (»Stampfer«). Ganz zu schweigen von Igor Strawinsky »Frühlingsopfer« – gleichwohl zeigte sich gerade hier, daß die Orgel eleganter stampfen kann, klingt »Le sacre du printemps« im originalen Orchesterkleid doch durchaus brachialer. Mit Rameaus Ausschnitt aus »Les Indes galantes«, aus dem Shin-Young Lee und Olivier Latry noch eine Zugabe wählten, verführten die beiden Organisten das Publikum schließlich noch zum rhythmischen Mitstampfen, um die Trommel, die eigentlich besetzt ist, zu imitieren.
Eine internationale Farbenpracht der Orgel wollten Olivier Latry und Shin-Young Lee präsentieren. Neben überwiegend französischen Anteilen hielten diese außerdem ungarische, spanische und rumänische Klänge vor. Doch vor allem war die Orgel diesmal eine Imitatorin, die einzelne Instrumente, kleine Kapellen und schließlich ein ganzes Sinfonieorchester ersetzte, was die Schwerpunktlage der Melodieführung und das Verhältnis zur Begleitung manchmal verschob und neue Höreindrücke schuf. Nicht nur im Charakter oder der Stimmung, manches ließ sich quasi neu erfahren, am deutlichsten vielleicht bei Igor Strawinsky.
Viele der Bearbeitungen stammten von Olivier Vernet und Cédrick Meckler, die neben Rameau Bartók mit einer trefflichen Dudelsackimitation sowie Maurice Ravels »Lever du jour« für die Orgel eingerichtet hatten. Der Ausschnitt aus »Daphnis et Chloé« stelle ein ganzes Streichorchester nach. Bartók wie den später folgenden »Feuertanz« von Manuel de Falla bot der Palastorganist allein, wobei vor allem de Falla mit der Verwebung von tragendem Baß, Begleitfiguren und dem wandelnden Melodiethema auffiel. Natürlich hatte auch Shin-Young Lee einen Soloauftritt: Alexander Borodins »Polowetzer Tänze« aus »Fürst Igor« fielen besonders eindrucksvoll aus, denn hier wurde ein ganzes Sinfonieorchester zwischen Violinen und Kontrabässen, mit Solostimmen von Flöten und anderen Bläsern, dargestellt. Melodischer Fluß und rhythmischer Impuls gelangen ausgesprochen überzeugend, dazu konnte jeder das Ballett der Füße beobachten – dafür gab es den größten Zwischenapplaus.

Trotzdem ist manche Bearbeitung ein Wagnis. Igor Strawinskys »Le sacre du printemps« zählt sicher dazu. Olivier Latry und Shin-Young Lee hatten sich die Fassung für zwei Klaviere als Vorlage ausgewählt. Hier gefiel vor allem die Imitation des großen Orchesters, die mit Geschmeidigkeit und neuen Akzenten beeindruckte, wie man sie so in der normalen Fassung schwerer heraushört. Weniger der kräftige Impuls war maßgebend, sondern die Farbigkeit, dafür fehlten dem ruhigen Mittelteil aber ein wenig die Konturen – so ganz paßte dieser Strawinsky vielleicht doch nicht auf die Orgel.
Wie immer saß Olivier Latry nach dem Konzert noch lange im Foyer und plauderte nebenbei beim Autogramme schreiben mit seinem Publikum. Seine Nachfolgerin, Anna Lapwood, geht im November an den Start. Man darf also gespannt sein, aber viele werden wohl hoffen, daß auch Olivier Latry wiederkommt.
22. Mai 2025, Wolfram Quellmalz