Meilenstein der Quartettliteratur

Brentano String Quartet zu Gast bei den Dresdner Musikfestspielen

Vor zwei Jahren hatte Primarius Mark Steinberg schon einmal »vorgefühlt« und im Rahmen der Meisterkonzerte auf Schloß Albrechtsberg Dresden einen Besuch abgestattet. Mit dem Pianisten Dénes Várjon zeigte er bei Mozart und Busoni eine verblüffende Dualität auf. Nun kam er mit dem Brentano String Quartet erneut an die Elbe. Im Rahmen der Dresdner Musikfestspiele trauten sich die vier (außerdem Serena Canin / zweite Violine, Misha Amory / Viola und Nina Maria Lee / Violoncello) gestern im Palais im Großen Garten gar an Johannes Brahms. Die Quartette des Wahl-Wieners bleiben im Konzertleben gar zu oft unberührt – warum?

Als Einstieg wählte das Brentano String Quartet keine »leichte Kost«, sondern Ludwig van Beethovens Streichquartett B-Dur, Nr. sechs aus Opus 18. Es gehört zu den ersten von Beethoven veröffentlichten Quartetten. Wiewohl Beethoven einige Jahre zuvor den Unterricht bei Haydn abgebrochen hatte und sich kompositorisch von ihm distancieren wollte (bzw. seinen Fortschritt unter Haydn gebremst sah), nimmt sein Werk hier und da manche Haydn’sche Züge an, zeugt aber auch von einem unmittelbaren Aufbruch. Beethoven hält sich nicht lange mit einem Vorspiel auf, sondern beginnt mit einem melodiösen Thema, dem das Brentano String Quartet bald ein subtil erregtes Tremolo hinzufügte – um es fast unmittelbar in Liebreiz aufzulösen.

Die vier Stimmen des Quartetts traten immer wieder markant hervor, das Violoncello hin und wieder besonders, was durch die Brentano-Sitzordnung (Cello innen, Viola außen) noch betont wurde. Das Adagio übte sich in Gelassenheit, unterbrochen nur durch zwei exakte Pizzicato-Schläge. Ansonsten war hier eine fast meditative Konzentration zu spüren. Sie bereitete den Hörer auf das vor, was danach kam: ein Scherzo mit experimenteller, teils ambivalenter Harmonik, während der Schlußsatz mit seiner »La-malinconia«-Einleitung harmonisch eine dichte Atmosphäre andeutete (ähnlich Schuberts C-Dur-Quintett) und so schon ein wenig auf Brahms vorauswies.

Doch zunächst folgte »Madrigal mongolia«, das der Komponist Lei Liang für das Brentano String Quartet geschrieben hat. Der Titel klingt eher nach einem Oxymoron (scheint die Musiktradition der Mongolei doch weit entfernt vom italienischen Madrigal), auch das Werk blieb letztlich nicht greifbar, weil ihm Richtung und Bestimmung zu fehlen schienen. Dabei begann es interessant, griff tatsächlich einen Gesang, vielleicht ein Madrigal auf (ob nun mongolisch, italienisch oder lateinisch, war zunächst egal). Daß das Werk am Schluß darauf zurückkam, war eigentlich eine schöne Klammer. Zunächst verlangsamte der Gesang, vereinzelte die Stimmen, wandte sich Intervallsprüngen zu, dann Pizzicati, wechselte zwischen rhythmisch tragenden Sequenzen und ruhigen Liegetönen, nur – wozu das alles? Es war kaum mehr, als alle möglichen Spielarten für Streicher, doch selbst für eine Étude blieb das Ziel oder der musikalische Sinn unklar. Warum die vielen Teile und in dieser Reihenfolge aufgeschnürt waren, weshalb der Schluß so gesetzt, ließ sich nicht schlüssig erfassen.

Da fand Johannes Brahms doch deutlichere »Worte«. Sein Streichquartett Nr. 3 (B-Dur, Opus 67) ist vielleicht gar das 23., wenn Brahms‘ eigene Aussage, er hätte zwanzig Streichquartette vernichtet, denn stimmt. Warum nur aber hört man diese faszinierenden Werke so selten im Konzert? Weil sie so komplex sind, so sinfonisch (worin er sogar Beethoven manchmal übertrifft), so anspruchsvoll für Spieler und Hörer?

Büste Joseph Haydns von Anton Grassi (1802, früher im Besitz Johannes Brahms‘), Photo: bridgeman berlin

Gestern abend schien es so leicht, nicht hingeworfen, aber mit ganzem Herzen hingegeben, ein emphatischer Brahms mit einem sprühenden Vivace. Das Andante wahrte die Tradition, die Haydn gesetzt und Schubert so schicklich fortgeführt hatte, Mark Steinberg und Serena Canin fanden darin zu einem feinsinnigen Dialog gleichgesinnter Stimmen – hervorragend! Im dritten Satz (Agitato) war es die Viola von Misha Amory, die einen pendelnden Impuls setzte – Nina Maria Lee hatte das leichte Übermaß ihres Violoncellos mittlerweile zurückgenommen. Die Viola führte mit ihrer Kantabilität auch wesentlich im letzten Satz – hatte Johannes Brahms die Stimme von Amalie Schneeweiss darin verewigt?

Die Zugabe schloß letztlich den Kreis: das Andante aus Haydns Opus 33 Nr. 6 entließ die Gäste mit einem gediegenen Nocturne in die Nacht.

27. Mai 2025, Wolfram Quellmalz

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