Mehr als ein Klavierabend

Mitsuko Uchida setzt alte Festspieltradition fort

Es gibt Pianisten, die spielen Klavier, und es gibt Klavierabende, an denen man Klaviermusik hört. Aber es gibt einen kleinen Kreis auserwählter Pianistinnen und Pianisten, bei denen sich zeigt, daß die Aura, die sie umgibt, eine Ursache hat, weil die Spieler in Verständnis und Ausdruck zu einem Kern vorzustoßen vermögen, der veritablen Musikern verborgen bleibt.

Mitsuko Uchida, Photo: © Richard Avedon

Mitsuko Uchida gehört zu diesem auserwählten Kreis. Ihr Klavierabend am vergangenen Freitag kann, obwohl die Dresdner Musikfestspiele noch nicht einmal das erste Viertel erreicht hatten, bereits zu den Höhepunkten gezählt werden. Als Ausgangspunkt hatte sich die Pianistin Ludwig van Beethovens Klaviersonate Nr. 27 (Opus 90, e-Moll) gewählt. Kurz faßte sie die Akkorde, mit wenig Nachklang, betonte lieber den Impuls, der nach oben strebte, während in der Gegenrichtung das Abwärts perlen durfte. Zwischen Impuls und Gelassenheit fand die gebürtige Japanerin eine Balance, die bestimmend blieb. Uchida als Flaneurin oder Passante, die einen Dialog zwischen energisch und nachsichtig anstimmte. Die in der Form ungewöhnliche Sonate (nur zwei Sätze, was Beethoven aber wiederholt wählte) fand unter der Vortragsbezeichnung »Nicht zu geschwind und sehr singbar vorgetragen« (Schumann hätte dafür ein anachronistisches Vorbild sein können!) zu einem harmonischen Lied. Den Dialog verlegte Mitsuko Uchida derweil in die Stimmen, die noch im Baß sanft die Melodie nachsummten. Einzigartig delikat in der Artikulation, schien jede Note gewogen, im rechtesten Maß. Maß heißt vor allem: Dynamik und Tempo.

Eine nahezu perfekte Ausgewogenheit der Tempi kam auch Arnold Schönbergs Drei Klavierstücken Opus 11 zugute. Wer bei dem Namen »Schönberg« zusammenzuckt oder sich fragt, wie Alte (Wiener Klassik) und Neue Wiener Schule zusammenpassen, wurde darin bald eines besseren belehrt – solche Fragen erübrigen sich im Grunde, wenn jemand so mit schwarzen und weißen Tasten umzugehen weiß! Denn Schönbergs freie Tonalität, die nach Beethovens konkretem Vorwärtsdrang beinahe jenseitig wirkte, fügte dem Dialog Fragezeichen hinzu und fokussierte auf den Fluß der Stimmen. Atonal? Mag sein, doch im mäßigen Tempo (vom Komponisten gewünscht) eröffnete sich ein Kaleidoskop der Ausdrucksfarben. Auch im zweiten der Stücke (sehr langsam) sorgte das Maß für Konzentration, betonte Impetus und eine rhythmisch pendelnde Bewegung. Dämmerung und Frage schien erneut enthalten, bevor Mitsuko Uchida mit dem heftig bewegten Abschluß bewies, wie ausgezeichnet sie noch höchste Erregung darstellen kann. Musik mit einer Bewegung in alle Richtungen, der ein feinsinniger Ausklang beschert war.

Der feine Sinn und das Maß beherrschten auch die zweite Konzerthälfte, die mit einer Miniatur von György Kurtág begann. »Márta ligaturája« verschmolz als Prélude mit Franz Schuberts Klaviersonate B-Dur (D 960). Fast impressionistisch bewahrte Kurtágs kleines Werk, das der Frau des Komponisten verbunden (ligaturája) ist, Nachhall und Widerschein, kleinen Reflexen des Sonnenlichtes auf dem Wasser gleich, ein musikalischer Hauch. So direkt verbunden wurde es durch Schuberts große Sonate nicht erdrückt, sondern betont.

Maß und feiner Sinn blieben ebenso erhalten wie und ein Sinn fürs dialogische. Den mysteriösen Baßtriller zu Beginn der B-Dur-Sonate ließ Mitsuko Uchida nebenbei, wie angedeutet, im Dunkeln dämmern. Dia Pianistin fand in Schuberts Opus Magnum der Klavierliteratur ebenso Lebensfroheit und Impuls wie Trauer – Hoffnung, Licht und Vanitas verband Mitsuko Uchida mit delikatem Anschlag und gezieltem Ausdruck zu einer sinnigen Einheit. Nicht »flinke Finger« oder virtuose Läufe waren entscheidend, sondern ein Gesamtkonzept, auf das Stück bezogen, wie es für den ganzen Abend galt. So verbanden sich bei Schubert scheinbare Gegensätze. Stillstand gab es nicht, jeder Anschlag in Härte oder Nachdruck, jedes Pedalmaß schienen bedacht und kreierten einen großen Klang, der im Andante sostenuto auf dem Grat zwischen Trauermarsch und innerer Bewegung balancierte.

Würde trifft es wohl ebenso, was Mitsuko Uchida ausstrahlt, im Spiel wie in der Person. Wie schön, daß Künstler bei den Musikfestspielen nach solchen Darbietungen auch würdige Blumensträuße erhalten! Manch anderer Pianist hätte nun eine Zugabe folgen lassen oder eine ganze Perlenkette von Encores. Das wollte die Pianistin nicht, nein, Schubert hatte seine Aussage getroffen, dem war nichts hinzuzufügen – gut so!

24. Mai 2025, Wolfram Quellmalz

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