Michael Sanderling und Augustin Hadelich brachten mit der Dresdner Philharmonie Britten und Schostakowitsch einander näher
Während seiner Amtszeit als Chefdirigent der Dresdner Philharmonie hatte Michael Sanderling bereits einen Schostakowitsch-Schwerpunkt gesetzt. Damals stellte er – die Interimszeit, während der Kulturpalast umgebaut wurde, eingeschlossen – Beethoven und Schostakowitsch als große Sinfoniker gegenüber. Im Lichthof des Albertinums erklang unter anderem 2014 Schostakowitschs achte Sinfonie. Am Freitag war die Zeit reif für eine Wiederholung und neue Gegenüberstellung: Dmitri Schostakowitsch und Benjamin Britten waren zwei große Solitäre im zwanzigsten Jahrhundert und miteinander befreundet. Ist es nicht längst Zeit gewesen, daß sie sich musikalisch im Konzert wiederbegegneten?
Mit Benjamin Brittens Violinkonzert hatte Augustin Hadelich, aktueller Residenzkünstler der Philharmonie, seinen leider schon letzten Auftritt. Diese Begegnung zeigte erneut, wie intensiv Michael Sanderling sich bzw. das Orchester auf einen Solisten auszurichten vermag. Vielschichtig in Motiven, aber auch wandlungsstark zwischen Marschrhythmen und lyrischen Liedteilen erinnert das Konzert zuweilen an die nordische Leichtigkeit Jan Sibelius‘, allerdings ist Brittens Werk viel doppelbödiger, arbeitet mit mehr Nuancen, unterschwelligen Schattierungen, seien es Motive oder Erwiderungen auf den Solisten. Augustin Hadelich verließ sich nicht allein auf einen lerchenhaften Ton, sondern wußte gezielte, kräftige Impulse zu setzen, und sei es mit einzelnen, akkordgleichen, süffigen Pizzicati, die an Brahms gemahnten. Dergestalt formte er glasklare Konturen (zweiter Satz) ebenso wie energiegeladene Aufschwünge.

Das Orchester umfing ihn dabei stets, sogar machtvoll, ohne dabei jedoch so bedrohlich zu wirken, wie es in den Gegensätzen passiert, die Schostakowitsch mitunter zeichnet. Hier ergab sich ein belebendes Miteinander, das vom Fagott bis zur Flötengruppe reichte, deren Piccolo seinerseits mit dem Flageolett der Streicher verschmolz. Michael Sanderling ließ das Gegenüber in ein Miteinander wachsen, das eine große emotionale Bandbreite bis in Trauersequenzen und (vorübergehende) tragische Weite einschloß. Dieses Wechselspiel lebte nicht von harten Kontrasten, sondern eher zarten Stimmen.
Für seine vorzügliche und gefühlvolle Interpretation wurde Augustin Hadelich gefeiert und durfte aus dem Publikum sogar ein kleines Präsent empfangen. Er bedankte sich mit einer Sarabande Bachs.
Es blieb mit Schostakowitsch emotional, vor allem in den Details und Abschnitten, in den vielfältigen Bezügen der Instrumentengruppen. Die vibrierenden Violen rückten an zentrale Stelle und entwickelten eine treibende Kraft, die Flötengruppe mit Piccolo »flatterte« bebend. Immer wieder zeigten gerade die tieferen Streicher eine innere Erregung an. Anders als bei Britten, welcher der (An)spannung fast immer eine Auflösung anbot, steigt bei Schostakowitsch der innere Druck, die Emotionalität ins fast unermeßliche. Seine aufwärts pfeilenden, typisch schneidenden Violinen, die fast gleißend ihre Spitzen herausschrien, wurden Momente lang unangenehm.

Und doch gab es Augenblicke der Beruhigung oder vielleicht der Auflösung. Das Englischhorn setzte solche Ruhepunkte, jedoch ließ Schostakowitsch ihm nicht den Erfolg einer Wende zum guten. Worin vielleicht ein Problem gerade der achten Sinfonie liegt: anders als die programmatischere siebente (die »Leningrader«, das Geschwisterwerk) zieht sie sich mit allzu vielen Teilen in die Länge. Trotz beständiger Motivanknüpfungen verliert man dabei leicht den Überblick (oder die Hoffnung). Und auch Michael Sanderling schien die Wiederaufführung nicht »locker« von der Hand zu gehen. Zumal sich sein ehemaliges Orchester seit seiner Zeit durchaus verändert hat. Zwar war mit Konzertmeister Wolfgang Hentrich ein leitender Musiker des ersten Zyklus‘ dabei, trotzdem und trotz vieler fein herausgearbeiteter Details fehlten diesmal Intensität und Spannung.
Die Steigerung mit einem großartigen Blechbläsersatz führte zum Finale über, doch nicht endlos – im Piano fand Schostakowitsch letztlich einen versöhnlichen Ausklang. Michael Sanderling wird seine Neubetrachtung des Komponisten in der kommenden Spielzeit fortsetzen. Dann steht die zehnten Sinfonie zusammen mit William Kentridges Film »Oh to believe in another world« auf dem Programm.
14. Juni 2025, Wolfram Quellmalz
