Prager Lebensläufe

Pavel Černý an der Silbermann-Orgel in Reinhardtsgrimma

Drei Tage an drei verschiedenen Silbermann-Orgeln – das letzte Wochenende war in dieser Hinsicht sehr ergiebig [die online-Artikel zu den Konzerten in der Dresdner Hofkirche am Freitag und in der Dorfkirche Pfaffroda am Sonnabend folgen nach der Berichterstattung in den Tageszeitungen am Mittwoch und Donnerstag auf dieser Seite]. Am Sonntag schloß der »unverhoffte Dreier« mit einem Konzert des Prager Organisten Pavel Černý in Reinhardtsgrimma. »Unverhofft«, weil die Veranstalter unterschiedliche waren, die Konzerte also unabhängig geplant hatten.

Pavel Černý hatte für das seine den Titel »Sommer in Prag« gewählt, was einem Versprechen nahekam – er sollte es halten. Denn Pavel Černý spielte nicht nur Musik, die aus Prag stammte, dort entstanden war oder einen anderen Prager Zusammenhang hatte, all diese diese Zusammenhänge bekam das Publikum auch erklärt. Und das war schon beim ersten Stück äußerst spannend, denn das Kyrie, magnus Deus potencie stammte aus einem Prager Manuskriptfragment. Seine Entstehungszeit weiß man nur vage: nach 1356. Gefunden wurde es, weil das Manuskript bzw. das Pergament, auf dem es notiert wurde, als Reparaturmaterial für andere Bücher verwendet worden war. Beim Restaurieren konnte man es vor einiger Zeit wiedergewinnen, das Kyrie gehört zu jenen Stücken, die sogar im ganzen überliefert sind. »Streng wie eine gotische Kirche«, so hatte Pavel Černý das Werk beschrieben. Das Kyrie stellt meist den ersten Teil oder Eingang, etwa bei Messen, dar. Diese Funktion war auch hier erkenntlich, die »Strenge« aber gar nicht so arg, vielmehr paßte die Klarheit der Stimmen äußerst gut zum Charakter der Silbermann-Orgel. Gleichzeitig behielt das Stück die Kantabilität eines gesungenen Kyrie.

Pfarrer Markus Deckert (links) begrüßte die Geimnde, rechts Organist Pavel Černý, Photo: NMB

Carolus Luython, in Antwerpen geboren, gelangte zunächst an den Hof Maximilian II., wurde unter dessen Nachfolger, Rudolf II., Hoforganist und zog mit dem Hofstaat 1583 nach Prag um. Sein um 1600 entstandenes Ricercar ist an sich ein Vorläufer der Fuge, vielleicht weniger komplex, dafür aber freier im Übergang vom (schon vorhandenen) Fugenthema und Ableitung oder Modulation in der Melodie. Neben auf- und absteigenden Motiven wirkten besonders die verzierten Umspielungen einfallsreich.

So einfallsreich sollte es bleiben, wenn sich nicht steigern. Die Entstehung von Johann Caspar Kerlls Capriccio sopra il cucu ist in der ersten Fassung auf den Tag genau bekannt: es war der 17. Juli 1679. In Prag natürlich – in drei Tagen hat das gewitzte Stück also Jubiläum.

Mit Bohuslav Matěj Černohorský und dessen Schüler Josef Ferdinand Norbert Seger vertiefte sich Pavel Černý noch weiter in die Prager Geschichte und bot Namen auf, die selbst Kennern wenig geläufig sind. Dabei hatte einst Bach, weil er selbst verhindert war bzw. Alters wegen nicht mehr mochte, Černohorský als Lehrer empfohlen. Dessen Fuga a-Moll öffnete in einem modernen Praeludium-Teil akkordisch, während die Fuge polyphonen Aufwind nachzeichnete – höchst überraschend!

Von Josef Ferdinand Norbert Seger sind derweil, obwohl er zu Lebzeiten ein bedeutender Komponist, Organist, Violinist (!) … war, kaum Werke überliefert. Joseph II. bot ihm in Wien eine Stelle als Hoforganist ein, leider verstarb Seger jedoch, bevor es zu einem Amtsantritt hätte kommen konnte. Viele seiner Werke gingen verloren, als die Kommunisten in den 1950er Jahren das Kreuzherrenkloster besetzten und gewaltsam schlossen. Was heute überliefert ist, durch Druck, durch seinen Lehrer Černohorský oder Freunde, gibt nur einen Teil dessen wieder, was Josef Ferdinand Norbert Seger geschrieben hat. Stilistisch dem Klassizismus zugeordnet, fanden sich in der Toccata und Fuga g-Moll mit einer führenden Melodie und der geschmeidigen Begleitung bereits romantische Elemente.

Womit man bereits erstaunt festhalten konnte, daß man auf einer kleinen Silbermann-Orgel durchaus nicht nur die Musik ihrer Zeit, also bis kurz vor der Mitte des 18. Jahrhunderts darstellen kann, sondern weit darüber hinaus. Pavel Černý hatte offenbar nicht nur sein Programm gezielt zusammengestellt, sondern auch den Klang der Orgel in der Kirche Reinhardtsgrimma sorgsam ausgeforscht.

Mit einem eleganten Andante a-Moll von Jan Křtitel Kuchař und dem Adagio für die Glasharmonika (KV 356 / 617a) von Wolfgang Amadé Mozart spendierte Pavel Černý dem Publikum noch zwei »süße Kleinigkeiten« – Köstlichkeiten waren es wohl eher!

Immerhin ist Mozart mehrfach in Prag zu Gast gewesen. Einzig Bach war dort nie gewesen, seine Musik hat man an der Moldau jedoch zweifelsohne gekannt. Auf den Thomaskantor wollte Pavel Černý auf einer Silbermann-Orgel nicht aber verzichten. Die Passacaglia c-Moll (BWV 582) sollte es sein, natürlich mit der zugehörigen Fuge, meisterlich vorgetragen!

In der Zugabe bot Pavel Černý noch einen unbekannten Komponisten: Ein Triangulum von Jirí Ignác Linek, der in Prag studiert, aber als Kantor in seiner böhmischen Heimatstadt Bakov gelebt hatte.

14. Juli 2025, Wolfram Quellmalz

Das nächste Konzert der Reihe findet am 21. September, 16:00 Uhr statt. Orgel: Arvid Gast (Lübeck), Trompete: Andre Schoch (Mannheim)

http://www.orgelkonzerte-reinhardtsgrimma.de

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