Christiane Bräutigam sorgte in der Kreuzkirche für Aufhorchen
Eine dreiviertel Stunde ist knapp, wenn es darum geht, ein anregendes Programm mit Orgelmusik zusammenzustellen, das mehr bietet als nur verschiedene Ausschnitte oder den Reiz des Unterschiedlichen. Im sechsten Konzert des Orgelsommers in der Dresdner Kreuzkirche ist dies Christiane Bräutigam (Torgau) jedoch auf verblüffende Weise gelungen.
Mit Johann Sebastian Bachs Fantasie G-Dur (BWV 572) hatte sie einen sommerlich-fröhlichen Auftakt gewählt, der die Töne wie eine Fontaine sprudeln ließ, die stattlich anschwoll. Die Choralbearbeitung über das Lied »Es spricht der Unweisen Mund wohl« (BuxWV 187) von Dietrich Buxtehude wirkte mit seinem sehr getragenen Rhythmus danach wie eine Beruhigung und stellte die Liedzeilen in den musikalischen Vordergrund – eine gute Kombination, das Ferienpublikum erst einzufangen und dann die Gedanken zu fokussieren.
Denn mit Johann Sebastian Bachs Concerto in d (BWV 596) nach Antonio Vivaldis Violinkonzert RV 565 gab es eines der meistgespielten Orgelwerke, zumindest der meistgespielten Orgelbearbeitungen zu hören. Und siehe da – die Tempi überraschten, denn Christiane Bräutigam wählte gerade für die Allegro-Sätze ein eher gemäßigteres Voranschreiten. Für manche überraschend, war aber genau das »orgelgerecht«, ließ zu, daß sich die Bearbeitung als eigenständiges Orgelwerk entwickeln konnte, während bei der sonst schnelleren Gangart oft der Eindruck entsteht, daß die Orgel hinter dem ursprünglichen Violingestus Vivaldis zurückbleibt. Insofern konnten aber auch die Verzierungen »neu« leuchten, neu gehört werden – eine äußerst geschmackvolle Darbietung! Somit konnte Bachs Concerto das Attribut einer Bearbeitung teilweise abstreifen und mehr wie ein Original wirken. Im sehr gesanglichen Largo e spiccato trat vermutlich die Handschrift der Kantorin hervor – als Kirchenmusikerin und Chorleiterin ist Christiane Bräutigam dem Gesang nicht weniger verpflichtet als der Orgel als Instrument.
Auch im folgenden Stück blieb sie sich treu: der oft als »evangelischer Urkantor« bezeichnete Johann Walter war ab 1525 bis zu seinem Tode Komponist der Kursächsische Hofkapelle in Torgau und damit Vorgänger von Christiane Bräutigam in der Renaissancekirche. Die Organistin improvisierte über Choralthemen von Johann Walter, wobei sie gleich wieder überraschte, zumindest all jene, welche die Choralthemen heraushören wollten, dann aber vor allem freie harmonische Formen präsentiert bekamen. Mit tremolierenden Renaissanceregistern und Akkordeonharmonik steigerte Christiane Bräutigam den Klang in strahlende Höhen, denen ein Subbaß unterlegt war. Zwar zitierte sie die Choräle, sogar Zeilen- und Silbenweise, doch wesentlich blieben der Klang und der freie Umgang damit bis in eine einnehmende, raumergreifende Fülle. Dieses Umformen schloß den Zimbelstern ein, der sogar mit einzelnem Glöckchenläuten Textzeilen betonte, und blieb wesentlich – trotz der Freiheit des Loslassens wurde der Zusammenhang zu den Choralthemen gewahrt.
Nach solcher »harmonischer Anregung« setzten Felix Mendelssohns Präludium und Fuge c-Moll (MWV W 21 und 18) Bachs Formenpaare in romantischer Auslegung fort. Weniger die Struktur als die sinnliche Gesamtheit der Stimmung stand dabei im Vordergrund. Trotzdem (und ohne etwas einem Choraltext vergleichbares) überwog in der Fuge das Gefühl »frohen Mutes« wie eine deutliche Aussage.
Mit der Toccata über das Kirchenlied »Christ lag in Todesbanden« wendete sich Christiane Bräutigam einem Werk ihres Vaters Volker Bräutigam zu (sie hat dessen Orgelwerke in ihrer Zeit als Kantorin an der Evangelisch-Reformierten Kirche zu Leipzig an der Thomaskirche aufgenommen). Im Umgang mit Motiven und Harmonik konnte man wohl eine Verwandtschaft zwischen der Improvisation zuvor und der Toccata erkennen, vor allem aber überzeugte letztere mit ihrer Eigenständigkeit und Modernität, die von Clusterakkorden, einem freien Umgang mit dem Thema, jazzigen Rhythmen und einem sinfonischen Finale gekennzeichnet war. Auch hier durfte der Zimbelstern einmal blinken!
3. August 2025, Wolfram Quellmalz
Im letzten Konzert des Orgelsommers am kommenden Sonnabend spielt Christoph Hauser (Ottobeuren) Werke von Franz Anton Maichelbeck, Johann Sebastian Bach, Giacomo Meyerbeer, Théodore Dubois, Sergej Prokofjew und Andrew Carter.
