Sächsische Staatskapelle wird auf ihrer ersten Saisontournee gefeiert
Rheingau, Mailand, Bukarest, Linz und Prag heißen die Stationen der Sächsischen Staatskapelle auf der ersten Gastspielreise in der neuen Spielzeit. Drei Programmvarianten hat sie zusammengestellt und mit Takemitsu und Mahler am Montag vergangener Woche unter anderem das Publikum in Mailand, der Heimatstadt des Chefdirigenten Daniele Gatti, begeistert. In Budapest standen sogar zwei Konzerte im Kalender.
Seit 24. August und noch bis zum 21. September lockt das Festivalul Internațional George Enescu (GEF) in die Rumänische Hauptstadt. Es ist nicht nur der zeitlichen Ausdehnung wegen eines der größten Musikfeste Europas, sondern kann auch inhaltlich prunken: neben zahlreichen Solisten (Gautier Capuçon, Magdalena Kožená, Rafał Blechacz, Benjamin Bernheim, Martha Argerich …) oder Dirigenten (Daniel Harding, Keri-Lynn Wilson, Cristian Măcelaru ist gleichzeitig Künstlerischer Leiter des GEF) kommen weltweit gefragte Ensemble, zum Beispiel treffen das Belcea Quartet und das Leonkoro Quartet aufeinander. Zu Chören (London Voices, Chorwerk Ruhr, Estonian Philharmonic Chamber Choir …) kommt noch einmal die enorme Zahl von fast 50 (!) Gastorchestern, davon neben Jugendensembles und solchen aus dem slawischen Raum etwa ein Drittel von Weltrang. Gerade dort liegt ein Reiz des GEF, denn Solisten und Dirigenten beehren auch uns regelmäßig – doch wann hat man Gelegenheit, Klangkörper wie das Orquestra de la Comunitat Valenciana, das Koninklijk Concertgebouworkest, die Sinfonia Varsovia, das Orchestre de Chambre de Lausanne, das Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia, das WDR Sinfonieorchester Köln, das Tonhalle-Orchester Zürich, das Rotterdams Philharmonisch Orkest, das Gustav Mahler Jugendorchester, die Filarmonica Brașov, das Orchestra Romana de Tineret (…) zu vergleichen?

Seit 1958 existiert das GEF, fand anfangs alle drei, später alle zwei Jahre statt. Zu den Spielstätten zählen neben experimentellen Orten wie dem Museum MINA București die Opera Națională București und das Romanian Athenaeum – auf dem Grund sollte ursprünglich eine Zirkusmanege entstehen, dann wurde dort die literarische Gesellschaft heimisch. Später spielten in dem beeindruckenden Rundbau, der die Geschichte Rumäniens illustriert an den Wänden eingefangen hat, neben dem Namensgeber des Festivals der legendäre Pianist Dinu Lipatti, Yehudi Menuhin, Maurice Ravel und David Oistrach.
Während sich das Athenaeum mit knapp 800 Sitzplätzen begnügen muß, faßt der 1960 eingerichtete Sala Palatului über 5000 (!) Besucher. Früher hat hier Präsident Nicolae Ceaușescu seine Reden gehalten, heute wird der Saal für Veranstaltungen, vor allem Konzerte genutzt und ist Hauptaustragungsort des GEF. Den etwas verblaßten Glanz und spröden Charme gleichen dann Blumen und ein Festivalplakat in frischen Farben aus, auch wurde der Saal mit Vorhängen auf akustisch bekömmliche »3000 plus« verkleinert.

Das Mittwoch-Programm der Sächsischen Staatskapelle entsprach unter Auslassung der Mahler-Lieder dem ersten Sinfoniekonzert in Dresden: Tōru Takemitsus »Requiem« für Streichorchester und Gustav Mahlers fünfte Sinfonie. Erstaunlich war, wie sich das Programm seit Dresden verändert hat. Schon in der Semperoper war zwischen den Aufführungen eine Steigerung spürbar – Daniele Gatti ist bekannt dafür, geradezu unermüdlich zu proben. Es bereite ihm Freude, verriet der Chefdirigent im Pressetermin zwischendurch, mit diesem Orchester, das so geprägt ist von der romantischen Musik Webers, Schumanns, Wagners – die alle in der Stadt oder der Region gelebt haben und mit der Kapelle in Verbindung standen – den Österreicher Mahler in einem Zyklus zu entwickeln, Freiheit und Phantasie zu entdecken, denn nur so könne sich Mahlers Ironie entfalten.

Chimärenhaft geisterte sie durch den Saal, von Daniel Gatti, der beständig emotional mitsang, zugleich wild und poetisch entfacht, dann wieder beruhigt – die Kapelle trug nie zu dick auf, wahrte noch in zartesten Verästelungen die Konturen. Der Chefdirigent als Zaubermeister? In den begeisterten Publikumsapplaus mischten sich zwischen »Bravi«- und »Bravo«- auch manche »Gatti«-Rufe.
Am Donnerstag schien das um kein Jota weniger klangvoll oder begeisterunsgwürdig. Zunächst stand George Enescus Concert Overture on Themes in Romanian Folkloric Character Opus 32 auf dem Programm – mehr als eine Reminiszenz an den Veranstalter war dies ein Verweis auf europäische Musikgeschichte, denn viele der Klangfarben schienen nicht nur französisch, George Enescu hatte am Pariser Konservatorium studiert und war später ein wesentlicher Impulsgeber an der Seine.

Mit Robert Schumanns Klavierkonzert in a-Moll und Pianist Kirill Gerstein sowie Ludwig van Beethovens sechster Sinfonie (»Pastorale«) standen zwei der populärsten Werke der Klassik auf dem Programm. Die Aufführung war von nobler, dosierter Linie gekennzeichnet. Das lag einerseits an den Orchestersolisten (neben Konzertmeister Matthias Wollong Sebastian Fritzsch / Violoncello, Sabine Kittel / Flöte, Bernd Schober / Oboe, Wolfram Große / Klarinette sowie Jochen Ubbelohde und Zoltán Mácsai / Horn), vor allem aber an der feinen, bildhaften Darstellung – reichhaltig, aber nicht überbordend. Darüber hinaus fand Daniele Gatti eine verblüffende, sozusagen undramatische, unmerkliche Steigerung in der Dramaturgie.

Für Daniele Gatti ist es nach dem Orchestre Philharmonique de Radio France und dem Royal Philharmonic Orchestra bereits der dritte Mahler-Zyklus, für die Sächsische Staatskapelle der erste überhaupt – bleibt zu hoffen, daß diese Freiheit und Phantasie darin eingefangen wird.
12. September 2025, Wolfram Quellmalz