Chopin ohne Grenzen

Vier Schlüsselwerke öffnen Kosmos eines kleinen Festivals

Die Werke Frédéric Chopins faszinieren Aleksandra Mikulska, Professorin für Klavier an der Dresdner Musikhochschule, schon seit langem. Den »Bazillus« dieser Leidenschaft hat sie offenbar an ihre Schüler am Sächsischen Landesgymnasium für Musik (SLGM) weitergegeben, die sich ebenfalls von Chopin begeistern ließen. Als die Anfrage kam, im Rahmen der Jubiläumsreihe »60 Jahre 60 Orte« (60 Jahre SLGM) ein Konzert zu spielen, war eine Idee schnell geboren.

Frédéric Chopin hatte in seiner Jugend, zwischen 1828 und 1834, nicht nur seine beiden Klavierkonzerte geschrieben, sondern vier weitere außerordentliche Werke für Klavier und Orchester: die Variationen über »La ci darem la mano« (aus »Don Giovanni«), Andante spianato & Grande Polonaise Brillante Es-Dur, die Große Fantasie über die polnischen Volksweisen sowie das Rondeau à la Krakowiak F-Dur. Heute sind diese Werke kaum bekannt oder nur in einer Fassung für Klavier solo, weil der Aufwand mit einem Orchester für die vergleichsweise kurzen Stücke groß ist.

Doch es muß nicht immer ein großes Orchester sein – schon während Chopins Besuchen in Dresden 1829 und 36 sollen seine Klavierkonzerte in einem Salon mit Streichquartettbegleitung gespielt worden sein. Für die genannten Werke gibt es alternative Begleitungen mit einem weiteren Klavier oder Streichern. Am SLGM hat man sich für ein Streichquintett, ebenfalls mit Schülern, entschieden. Die Aufführung aller vier Werke an einem Abend ist vermutlich eine Premiere, meint Aleksandra Mikulska, und die hat offenbar andere neugierig gemacht, denn das Konzert wuchs zu einem kleinen Chopin-Festival. Nach einem Auftakt im September in Potsdam und Konzerten in Süddeutschland gab es am Dienstag vor einer Woche ein Festkonzert am Ursprungsort, der Villa Rothermundt des SLGM, am Mittwoch dieser Woche gibt es mit einer Wiederholung des Programms im Cosel-Palais den vorläufigen Abschluß in der dann schon siebenten Aufführung.

Vergleicht man Chopin mit anderen Komponisten, ist er schnell als »Klaviervirtuose« festgelegt, der keine Opern oder anderes geschrieben hat. Betrachtet man jedoch Chopins Werk, öffnet sich ein ganzer Kosmos – »Chopin ohne Grenzen« geht über einen engen Rahmen hinaus. Trotzdem sind gerade die genannten Werke mit einem konzentrierten Zeitraum verbunden, dem Novemberaufstand 1830/31 in Polen und Chopins Weggang bzw. Flucht.

Von links: Adele Schäfer, Khrystyna Zubko, Kai Long Breker, Sophia Kratschkowskaja, Illia Zhao und Adrian Simon, Photo: NMB

Die Schülerinnen und Schüler des Konzertprogramms finden bei Chopin verschiedene Anreize: Adele Schäfer spielte später im Konzert die Barcarolle Fis-Dur, bei der sie vor allem der Wechsel von Dramatik und Zartheit begeistert, weil dies nicht zuletzt menschlich scheine, Gefühle anspreche. Sophia Kratschkowskaja, die bisher eher philosophische, tiefgründige, etwas traurige Stücke gespielt hatte, begeisterte am Rondeau à la Krakowiak, daß es sie und die Zuhörer in eine feierliche, positive Stimmung versetzen kann und gute Laune mache – ein Stück, das Freude ausstrahlt!

Khrystyna Zubko, die aus der Ukraine stammt, schätzt wiederum Chopins Art, wenn er Volksweisen aufgreift. Sie könne durchaus nachempfinden, was Chopin fühlte, als er seine Werke geschrieben hat. Im Vergleich mit den anderen Werken sei die Große Fantasie nicht so virtuos, dafür aber sehr zart und in sich gehend, habe eine innere Stimme. Kai Long Breker wiederum fasziniert in den Variationen »La ci darem la mano«, das erste größere Chopinwerk, das er spielt, wie das immer erkennbare Thema und die virtuosen Verzierungen stets verbunden bleiben. Diese Verwobenheit konnte man übrigens im Konzert vielleicht noch stärker spüren, denn zur gewählten Fassung zählte nicht nur die Begleitung, auch der Klavierpart war insofern eingerichtet, daß darin – wie zu Chopins Zeiten üblich – der Solist viele Tuttipassagen mitspielte.

Ob der »Salonkomponist« nur melancholisch klinge, verneinten alle vier Pianisten. Sophia Kratschkowskaja meint ganz klar, ihr Stück sei eher energisch, generell gebe es aber eine Mischung, oft sei Chopin in einem Stück sowohl melancholisch als auch energisch.

Verblüffend war, daß man die ganz persönlichen Auffassungen in allen Vorträgen wiederfinden konnte, denn hier wurde nicht nur »geläufig geplaudert«, auch die Virtuosität hatte keinen übergeordneten Rang – jede Interpretation hatte bereits zu eigenständiger Ausdruckskraft gefunden. Außer den oben genannten Schülern spielten Illia Zhao das Andante spianato & Grande Polonaise Brillante und Adrian Simon das Scherzo b-Moll sowie die Etüde a-Moll – eben ein ganzer Kosmos in zwei Stunden.

22. Oktober 2025, Wolfram Quellmalz

Konzerttip: »Chopin ohne Grenzen«, 29. Oktober, 17:00 Uhr, C. Bechstein Zentrum Dresden, Cosel-Palais

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