Konzert zu Felix Mendelssohns Todesstunde
Am dritten Tag der Mendelssohn-Festtage Leipzig (MTL) kamen zur Todesstunde Felix Mendelssohns besondere Gäste ins ehemalige Wohnhaus der Familie in der Goldschmidtstraße: neben René Pape, der von der Lindenoper bis zur MET in die größten Baßrollen schlüpft, die frischgebackene Mendelssohn-Preisträgerin Elena Bashkirova. Auch das Grieg-Quartett Leipzig sollte einen wesentlichen Teil beitragen.
Antonín Dvořák war im amerikanischen Exil in eine Situation der Heimatsehnsucht, der Einsamkeit, der Verluste und des Suchens geraten. Er fand einen schöpferischen Ausweg darin, sich mit Psalmtexten zu befassen und zehn Psalmen zu vertonen, aus denen die Biblischen Lieder Opus 99 entstanden. Es sind im Grunde zwei Gruppen von je fünf Liedern, die einen ähnlichen zyklischen Verlauf nehmen: auf einem Aufschrei zu Beginn folgt ein Moment des Suchens und der Hinwendung sowie des Findens, was jeweils mit einem Cantate Domino endet. Zwischen den beiden Gruppen war Felix Mendelssohns Streichquartett Es-Dur Opus 12 platziert.

René Papes Baß mag nicht mehr so elegant oder geschmeidig klingen wie früher, aber das gleicht er mit Gestaltung aus, wodurch er sich die Texte vielleicht noch mehr zu eigen macht. Da mögen manche Konsonanten spröde scheinen – Pape ist in den slawischen Sprachen offenbar ebenso zu Hause wie bei Sarastro, das wissen wir nicht erst seit »Boris Godunow«. Außerdem nimmt er sich eine gestalterische Freiheit, die Präsenz schafft und nach einer Bühne verlangt – bloßes Anpassen an einen kleinen Salon wäre ihm vielleicht fade.
Und so wurden nicht nur die Wolken im ersten Lied (»Oblak a mrákota« / »Wolken und Dunkel ist um ihn her«) spürbar – rauh und schroff ist diese Umgebung. Nach und nach wurde Papes Singen inniger, bittender. Die Kraft entwickelte sich stärker, aber nicht lauter, sondern gezielter, so daß »Slys, ó Boze! Slys modlitbu mou« (»Gott, erhöre mein Gebet«) fast wie eine Forderung klang. Elena Bashkirova zeichnete diese Konturen mit, die mal wie eine Urgewalt scheinen, dann eine singende Gegenstimme formen. So beendeten beide den ersten Zyklusteil (»Boze! Boze! Pisen novou« / »Gott, ich will dir ein neues Lied singen«) beinahe frohgemut.
Das sollte sich ähnlich im zweiten Teil wiederholen, der aber keine formale Wiederholung des gleichen Themas wurde, sondern authentische Kraft schöpfte. Mit »Slys, ó Boze, voláni mé« (»Höre, Gott, mein Schreien«) begann die Fortsetzung milder. Verblüffend, wie danach das Wasser in »Pri rekách babylónskych« (»An den Wassern zu Babel«) zu wogen schien, aber nicht weniger erstaunlich (und hoffnungsfroh) wie bei den folgenden Liedern die Schlußsentenz die Stimmung aufhellte. Kraftvoll und gelöst schien René Pape in »Zpívetje Hospodinu písen novou« (»Singet dem Herrn ein neues Lied«), das die Todesstunde beschließen sollte. Der Baß beschwichtigte den reichen Applaus und wollte – nach der Verausgabung oder wegen des Anlasses? – keine Zugabe anfügen. Sein Publikum hat ihn verstanden.
Es hatte auch Mendelssohn verstanden, dessen Quartett, das man fast nicht mehr zu den Jugendwerken rechnen kann, so ausgewogen präsentiert bekam, daß man jede der Stimmen klar heraushören konnte. Elisabeth Dingstad und Gunnar Harms (Violine), Christoph Vietz (mit dem Violoncello innen sitzend) und Immo Schaar (Viola) hatten das Werk mit seinen liedhaften Elementen delikat vorgeführt. Vielleicht bargen die Binnensätze den Kern und die Seele nicht nur dieses Stückes, sondern des ganzen Abends: das Allegro non tardante – eine der Lieblingszugaben von Streichquartetten – ließ den Text pendeln wie eine Lebensuhr, die Canzonetta wurde zum zauberhaften Consortgesang. Manchmal war Elisabeth Dingstads Violinstimme hervorgehoben, wie im letzten Satz, der dem vermeintlichen Schluß noch einen kleinen Nachschlag gewährt, aber auch einem Gestus folgte, als wolle der Komponist sagen, daß er noch nicht ausgesprochen hatte. Der Nachklang geriet sanft wie beim Klavier in manchem der Biblischen Lieder.
5. November 2025, Wolfram Quellmalz