Bachs Weihnachtsoratorium in der Dresdner Lukaskirche
Nein, streiten muß man deshalb nicht, aber »man spricht wieder darüber«: Eigentlich war Bachs Weihnachtsoratorium ja (noch) kein geschlossenes Oratorium. Der Thomaskantor schrieb sechs Kantaten für Gottesdienste ab Weihnachten (25. Dezember), wobei Bach im Gegensatz zu anderen seiner Advents- oder Weihnachtskantaten tatsächlich von vornherein auf die Geschlossenheit bzw. Gesamtheit zielte. Aufführungen des Weihnachtsoratoriums im Advent sind also vorfristig, jedoch muß man ja nicht päpstlicher sein als der Papst (zumal bei einem protestantischen Werk) – die Herauslösung aus dem Gottesdienst und die geschlossene Darbietung im Konzert schafft über die musikalische Einheit hinaus Zugänglichkeit, in gewissem Sinne sogar eine noch größere. Denn für viele ist das Weihnachtsoratorium ein Familienanlaß – wo sonst treffen sich in derart hoher Zahl Menschen, die sonst wenig ins klassische Konzert und kaum in die Kirche gehen?
Nicht zu vergessen ist der verbindende Impuls für viele Kantoreien, die sich das »Projekt Weihnachtsoratorium« alljährlich oder zumindest regelmäßig vornehmen. Wobei es einige Kirchen gibt, denen es tatsächlich gelingt, Bachs berühmtestes Werk Jahr für Jahr aufzuführen und ins Repertoire des Kirchenjahres einzugliedern.

In der Dresdner Lukaskirche (wie passend, schließlich gehört der Teil der Weihnachtsgeschichte nach Lukas zu den bekanntesten) haben die ersten drei Kantaten im Advent mittlerweile eine Tradition. Neben Solisten in leicht variierender Besetzung, der Lukaskantorei und der Kurrende sowie dem Jugendchor der Kirchgemeinde zählen die Dresdner Kapellsolisten jeweils zu den Ausführenden – auch für das kommende Jahr steht der Termin bereits fest (20. Dezember / 4. Advent). Am Sonnabend übernahm Kantorin Katharina Pfeiffer wieder die Leitung für die ersten drei Kantaten.
Unter den Solisten fielen drei bekannte Namen auf: Annekathrin Laabs (Alt), Alexander Schafft (Tenor) und Clemens Heidrich (Baß) erlebt man regelmäßig in Rollen wie diesen, Eliane Schlenzig (Sopran) dagegen weniger – Katharina Pfeiffer hatte sich für eine Besetzung aus dem Chor entschieden und für die Duetto-Arie »Herr, dein Mitleid, dein Erbarmen« auf die ausgebildete Musiklehrerin vertraut. Eine andere »Überraschung« gab es im Choral »Schaut hin, dort liegt im finstern Stall«, das mit Sopranen aus der Kurrende als Terzett besetzt war – auf- und sinnfällig.
Begonnen hatte alles wie hier gewohnt. Und das heißt in der Lukaskirche, daß das Konzertpublikum doppelte Gelegenheit bekam, zur Ruhe zu finden. Auf den Klang der Kirchenglocken durch die geöffneten Türen folgte der a cappella vorgetragene Choral »Nun komm‘ der Heiden Heiland«.
Solcherart eingestimmt durften die Dresdner Kapellsolisten dem Eingangschor musikalisch das Sternenflimmern beisteuerten. Sie trugen das Weihnachtsoratorium wesentlich und gesellten sich mit Oboen (auch Oboe d’amore), Flöte oder Konzertmeistervioline als Partner zu den Gesangssolisten. Den vereinigten Kantoreichören gewann Katharina Pfeiffer immer wieder eine emotional deutbare Lesart ab, so war schon die Strophe »Lob sei Gott dem Vater g’tan« des Heiland-Chorals kraftvoll betont gewesen. Im Weihnachtsoratorium blieb diese Ausdeutung erhalten.
Alexander Schafft fand überaus routiniert in die Rolle des Evangelisten und gestaltete die Erzähltexte bei großer Verständlichkeit ausdrucksstark und farbenreich. Seine Arie »Frohe Hirten, eilt, ach eilet« war ein Beispiel festlichen Preisens.
Noch nuancierter gelang dies Annekathrin Laabs, wobei das Werk ihr allerdings auch mehr Gestaltungspielraum einräumte. Wunderbar waren gerade die mild schimmernden Texte und deren Steigerungen, wie gleich am Beginn vom Rezitativ »Nun wird mein liebster Bräutigam« zur feierliche Arie »Bereite dich, Zion« – ein erster Höhepunkt!
Ähnlich gestaltungsstark zeigte sich Clemens Heidrich, der einerseits bereits die Rezitative mit einem erwartungsvollen Beben in der Stimme zu unterstreichen wußte (»So geht denn hin, ihr Horten, geht«), andererseits an starken Kontrasten beteiligt war. In »Er ist auf Erden kommen arm« standen ihm – ausgesprochen reizvoll – die Soprane des Kinderchores gegenüber. Am schönsten gelang vielleicht die zweite Kantate, die großartig von der zurückgenommenen Pastorale eingeleitet wurde und im Wechsel des Chores (»Ehre sei Gott«) mit dem Baß endete.
Mit der dritten Kantate fand das Weihnachtsoratorium ein (vorläufiges) Ende. Noch einmal bewies der große Chor mit dem am Ende wiederholten »Herrscher des Himmels« seine Form, dazwischen zeigte Susanne Branny, daß Johann Sebastian Bach für das Solo »Schließe, mein Herz« eine Begleitung geschrieben hat, die einer Violin-Partita gleichkommt.
14. Dezember 2025, Wolfram Quellmalz
Auch in den nächsten Tagen gibt es weitere Konzerte und Vespern in der Lukaskirche.