Panflöte trifft Jehmlich-Orgel

Bergfest beim Dresdner Orgelsommer

Photo: Sebastian Pachel

Der Begriff »panische Angst«, glaubte meine Sitznachbarin mich erinnern zu müssen, hätte seinen Ursprung beim Hirtengott Pan. (Unglaublich! Wußte sie etwa nicht, wie oft, lange und tief ich mich allein mit Claude Debussys »Syrinx« auseinandergesetzt habe?) Tatsächlich soll Pan der Nymphe Syrinx nachgestellt sein, weshalb sich diese – in Angst und Schrecken versetzt – in ein Schilfrohr verwandelte und am Uferrand versteckte. Pan in seinem Zorn zerschnitt das Schilfrohr in Stücke ungleicher Länge – so entstand die Panflöte, meint die Mythologie. Es gibt aber auch Menschen, die ganz ohne mythologische Kenntnisse oder Wissen über Syrinx in eine panische Angst versetzt werden, wenn sie eine Panflöte hören oder sehen oder allein schon beim Wort »Panflöte« – zu überladen ist das Instrument mit folkloristischem Kitsch. Doch es gibt auch Menschen, die sich der Panflöte ganz anders nähern und sie als klassisches Instrument wahrnehmen. Dazu gehört offensichtlich Sebastian Pachel, denn er spielt sie zwar durchaus genreübergreifend, aber ebenso klassisch.

Für die Halbzeit beim Orgelsommer in der Dresdner Kreuzkirche hatte sich Kreuzorganist Holger Gehring seinen Bielefelder Bekannten eingeladen. Nun wurde gerade im Mai die neue Truhenorgel (von Orgelbau Rohlf) der Kreuzkirche eingeweiht, die über eine »süddeutsche« Klangfarbe verfügt, die man im positiven Sinne »flötiger« nennen könnte. Doch Holger Gehring spielte überraschenderweise an der großen Jehmlich-Orgel. Immerhin verfügt diese allein schon über zehn verschiedene Flötenregister.

Wie sich zeigte, können beide Instrumente nicht nur eine Partnerschaft eingehen, sondern sind in ihrer Rollengestaltung sogar flexibel. Im Concerto D-Dur (BWV 972) von Johann Sebastian Bach nach Antonio Vivaldi (Bachs Bearbeitung für Tasteninstrument, Original für Violine, Streicher und Basso continuo) klang die Panflöte sehr solistisch heraus und übernahm quasi die Rolle eines Blockflötensatzes. Durch das Wechseln der Pfeifen während des Blasens lassen sich Töne jedoch miteinander verbinden (bzw. verschleifen), was man so auf der Blockflöte nicht kann. Triller und ähnliche Verzierungen wiederum erfordern aber doch eine Zungenfertigkeit. In der Choralbearbeitung »Erbarm dich mein, o Herre Gott« (BWV 721) wiederum wurde die Panflöte zur Sängerin, umflorte den Ton mit dem Hauch des Atmens, wozu die große Orgel tremolierend oder im Staccato ein beweglicher Begleiter war.

Mit dem Concerto C-Dur BWV 595 nach Johann Ernst von Sachsen-Weimar (erster Satz eines Instrumentalkonzertes, für Tasteninstrumente liegt auch das ganze Werk als Bearbeitung von Bach unter BWV 592 / BWV 592a vor) kam Holger Gehring danach solistisch zum Zuge. Wiederum kehrte eine Bach-Bearbeitung ihre reizvollen Seiten hervor, und sei es mit überraschenden Tonartwechseln.

In der Zwischenzeit war Sebastian Pachel für sein Solo nach unten in den Altarraum gewechselt. Mit der Partita für Flöte BWV 1013 wurde er sozusagen der originalen Bestimmung ziemlich gerecht, auch wenn Johann Sebastian Bach das Werk natürlich nicht für die Pan- sondern für die Traversflöte geschrieben hatte – in den Registern der Jehmlich-Orgel fände sich eine Entsprechung. Sebastian Pachel übertrug die Virtuosität des Werkes gekonnt – und ganz klassisch – auf sein Instrument, womit sich jeder – den Solisten vorn stehend sehend – von dessen Können und Spielweise nun auch optisch ein Bild machen konnte.

Den Rückweg des Flötisten auf die Orgelempore begleitete Holger Gehring noch einmal solistisch mit dem Adagio aus Gustav Adolf Merkels Orgelsonate Nr. 1, bevor sich beide gemeinsam erneut dem Komponisten – der einige Jahre Organist der Kreuzkirche war – zuwandten. In seiner Phantasie Opus 5 (ursprünglich für Orgel solo) teilten sich beide Spieler die Stimmen noch einmal – die Panflöte wurde quasi zum extraordinärem Register. Gerade der ruhigere Mittelteil gefiel in der harmonischen Ausgeglichenheit.

In Béla Bartóks Rumänischen Tänzen führten Sebastian Pachel und Holger Gehring die rhythmisch-prägnante Struktur ihres Duos vor, was ihr Darstellungsvermögen jedoch noch längst nicht zu begrenzen schien. Für den Applaus gab es eine schmissige Csárdás-Improvisation à la Vittorio Monti, die diverse Vogelstimmen zwischen Drossel, Kuckuck und Waldkauz einflocht und hellhörig werden ließ – für das Jahresende versprechen die beiden Musiker eine neue Aufnahme, unter anderem mit Musik aus dem Orgelsommerkonzert.

Wer so lang nicht warten mag, kann hier noch einmal nachhören (Béla Bartók plus ein extra mit Panflöte und Klavier):

https://www.kreuzkirche-dresden.de/veranstaltungen/veranstaltung/orgelsommer-39.html

7. August 2022, Wolfram Quellmalz

Am kommenden Sonnabend spielt Klaus Geitner (München) im Orgelsommer (15:00 Uhr, Kreuzkirche Dresden) Werke von Dieterich Buxtehude, Johann Schneider, Georg Böhm und anderen. Weitere Informationen unter: http://www.kreuzkirche-dresden.de

Schreiben Sie einen Kommentar

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Wechseln )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Wechseln )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Wechseln )

Verbinde mit %s