Meereswogen und Vogelgesang beim Abschlußfest

Prager Letní slavnosti staré hudby in der Sankt Simon und Judas Kirche beendet

Es ist bereits das 23. Letní slavnosti staré hudby, das Sommerfest für Alte Musik in Prag gewesen, das am Donnerstag mit dem Abschlußkonzert des Collegium Marianum zu Ende ging. Naheliegend war, dafür ein besonderes Programm zusammenzustellen. Und so waren neben Jana Semerádová, der Künstlerischen Leiterin des Ensembles und Solistin (Traversflöte) auch Julie Braná und Roberta Mameli zu erleben. Während Julie Braná die zweite Traversflöte sowie solistische Blockflöten spielte, sorgte Roberta Mameli mit feurigem Sopran für eine glutvolle Ausmalung der Arien von Georg Friedrich Händel und Antonio Vivaldi. Sie spendierte ihre Ausdruckskraft überreich, mitunter mit Risiko und überschäumenden, wenn nicht übermäßigem Temperament und setzte das Publikum mit Technik (Koloraturen) ebenso wie mit ihrem Stimmumfang in Staunen.

Letní slavnosti staré hudby im Kostel sv. Šimona a Judy mit dem Collegium Marianum und Roberta Mamelis (rotes Kleid) sowie Jana Semerádová (Traversflöte) und Lenka Torgersen (Konzertmeisterin), Photo: Collegium Marianum, © Zdenka Hanakova

Besonders war aber schon der Raum: Kostel sv. Šimona a Judy (Sankt Simon und Judas), eine entweihte Klosterkirche, dient heute als Konzertsaal vor allem dem Prager Symphonieorchester. Manchmal kommen auch Gäste in den Genuß des Raumes, der mit Glasfenstern, Lichteffekten und Trompe-l’œil-Malerei verblüfft.

An solchem Ort läßt sich trefflich imaginieren, wenn von »treuen Nymphen« (»La fida ninfa«, HWV 714, von Georg Friedrich Händel gab stellvertretend den Programmtitel »Canto della Ninfa«), süßen Vögelchen oder Schäferidyllen gesungen wurde.

Roberta Mamelis Sopran verblüffte dabei zunächst mit seiner Tiefe, die so golden und einfühlsam war, daß sie eher wie ein Mezzo schien. Gleich die einleitende Liebesschmerzarie der Nymphe Licori Arie »Alma oppressa da sorte crudele« aus Händels Ninfa offenbarte ein tief innen glühendes Feuer. Tatsächlich verfügt Roberta Mameli über eine beträchtliche Tessitura und kann auffahrend in die Höhe fliegen. Das gelang ihr sowohl in koloraturgewaltigen Verzierungen als auch bei dauerhaften Spitzenplateaus. Hier freilich forcierte Roberta Mameli mitunter stark und wirkte dann nicht mehr unangestrengt (»Il pastore fido« / Händel). Allerdings scheute sie keinen emotionalen Balanceakt, weshalb sie mit ihrer enormen Verve kaum jemanden unberührt ließ. Wunderbar gelangen zudem die Duettpassagen mit Jana Semerádovás Traversflöte, die sich in Händels dramatischer Kantate »Aci, Galatea et Polifemo« das Stelldichein eines Schäferidylls mit erregtem Für und Wieder gaben.

Das Collegium Marianum hatte in der Einleitung (Sinfonia aus »L’Olimpiade«, RV 725, von Antonio Vivaldi) die dynamischen Akzente in den Wiederholungen etwas stark ausgezeichnet, dagegen waren später die beiden Traversflöten, soweit sie im Tutti spielten, kaum wahrzunehmen. Als sichere Basis erwies sich allerdings neben Konzertmeisterin Lenka Torgersen die Continuogruppe mit Filip Hrubý (Cembalo) und Hana Fleková (Violoncello), welche die (Mezzo)sopranistin immer wieder innig umschlossen und für besonders intime Momente der emotionalen Szenen sorgten. In Georg Friedrich Händels »Sweet bird« (HWV 55) verbanden sie sich mit Roberta Mameli und Jana Semerádová zu einem starken Quartett. Hier schien es gar, als würden die Flötenverzierungen den Sopran imitieren – oder war es umgekehrt?

Gelungene Partnerschaft: Collegium Marianum, Jana Semerádová (Traversflöte), Filip Hrubý (Cembalo), Roberta Mamelis (Sopran), Lenka Torgersen (Konzertmeisterin), Photo: Collegium Marianum, © Zdenka Hanakova

Die Erregung war beinahe allen Stücken gemein, entweder als Ausdruck einer flatternden, bebenden, liebenden Seele, oder in (bild)gewaltigen Szenen wie Antonio Vivaldis »Tempesta di mare« (RV 433). Hier sorgte auch Julie Braná für solistische Brillanz. Dazu ließ das Collegium den Sturm mächtig toben und das Meer wogen. Später trumpfte dann Jana Semerádová in »Il gardellino« (RV 428) des Venezianers auf, bevor Julie Braná noch einmal – nun aber besonders effektvoll aus einem der oberen Fenster heraus – in Ariannas Arie »Augelletti garruletti« aus Antonio Vivaldis »Il Giustino« (RV 717) zur Duettpartnerin wurde.

5. August 2022, Wolfram Quellmalz

Das Publikum reagierte auf die gebotene Emotionalität enthusiastisch und bekam das, was wohl Roberta Mamelis Stärke ist – die einfühlsame Glut in der Fassung von Händels »Lascia la spina«.

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