Nacht und Schatten

Zweites Abendkonzert beim Moritzburg Festival

Die Analogie zum Eröffnungskonzert am Vorabend war verblüffend – erneut steigerten sich die Teilnehmer des Moritzburg Festivals über die drei gebotenen Werke in der Ausdruckskraft, wieder war ein Klavierquintett der krönende Abschluß. Teils lag das sicher an Beteiligten. Zumindest muß man unzweifelhaft konstatieren, daß ein Pianist wie Andrea Lucchesini der jungen YouTuberin Tiffany Poon haushoch überlegen ist, selbst wenn diese sogar einen Dritten Preis beim Robert-Schumann-Wettbewerb der Stadt Zwickau gewonnen hat.

Ähnlich wie am Sonnabend begann das Konzert mit einem Klaviertrio. Auf Dvořák zur Eröffnung folgte das zutiefst romantische Opus 11 von Fanny Hensel. In Wellenkämmen artikulierte Tiffany Poon den Klavierklang, ließ ihn elegant perlen, doch darüber hinaus fehlte es ihrem Vortrag an Subtilität, Tiefe oder Aussage. Somit blieben die Gestaltungsanteile ungewichtig zwischen ihr und Nathan Meltzer (Violine) sowie Bruno Philippe (Violoncello, für den erkrankten Guy Johnston) – die beiden Streicher wußten ungleich mehr beizutragen. Bruno Philippe ist in seinem zweiten Moritzburger Jahr bereits ein Wiederholungstäter, sowohl beim Einspringen für verhinderte Kollegen wie auch in der Klangsinnlichkeit seines Tons – man kann sich nur wünschen, daß sein Status nun von »Gast« auf »Standard« umgestellt ist. Gerade ihm und Nathan Meltzer war es zu verdanken, daß der dritte Satz, von der Komponistin mit »Lied« bezeichnet, nicht überzogen dargestellt wurde und das Finale eine aufregende Dramatik belebte.

Mit Maurice Ravels Sonate für Violine & Violoncello a-Moll gab es hernach eine Steigerung, ja einen sprunghaften Spannungsanstieg. Für uns heute ist das zu Zeiten der Uraufführung teils verstörende Werk längst ein Klassiker, der den Übergang bzw. einen Amalgampunkt zwischen Spätromantik, Impressionismus, Moderne und Avantgarde markiert. Und auf Schostakowitsch vorausweist, der an diesem Abend noch folgen sollte. Die ungewöhnliche Besetzung brachten Karen Gomyo (Violine) und Intendant Jan Vogler (Violoncello) dem Publikum aufregend nahe. Wie vorgestern – noch eine Analogie – verzückte Karen Gomyo mit herben, dunklen Tönen. Die Sinnlichkeit, die bei Fanny Hensel noch angemessen verdeckt zur Geltung kam, wurde bei Ravel (bzw. mit Gomyo und Vogler) geradezu expressiv deutlich. Aus den dunklen Tiefen (»tragisch« faßte in der Deutung zu kurz) des dritten Satzes folgte im vierten ein Energieschub, der katapultartig nach vorn führte. Verblüffend, daß diese Kraft von vor genau einhundert Jahren bis heute vital sprüht (»konserviert« wurde kann man kaum sagen).

Mit dem Klavierquintett g-Moll Opus 57 von Dmitri Schostakowitsch bewies das Moritzburg Festival nach längerer Zeit wieder einmal eine dramaturgische Programmgestaltung, die deutlich über eine reine Abwechslung hinausgeht (»früher« war gewiß nicht alles besser, aber da gab es das öfter). Andrea Lucchesini (Klavier), Nathan Meltzer, Karen Gomyo, die feinsinnige Sindy Mohamed (Viola) und der (im Spiel) sanguinische Bruno Philippe formten das Werk um seine Klüfte und Kanten herum zu einem lebensfrohen Stück – auch Schostakowitsch darf man nicht mit Kampf, Einsamkeit und Tragik gleichsetzen, ihm nicht nur subtilen (oder subversiven) Humor unterstellen. Die gelassene Heiterkeit des Quintetts verwies auf eine andere Qualität, die sein Leben (vielleicht) erhalten und erleichtert hat.

Sindy Mohamed und Bruno Philippe traten (wie am Vorabend) hier und da in ihrer musikalischen Partnerschaft aus dem Verbund heraus. Sie können eine Bezogenheit aufeinander entwickeln, die verblüfft, ergötzt – im nächsten Jahr, dann dem echten 30. Jubiläum, spielen sie vielleicht ein Duo für Viola und Violoncello? Beethoven oder Bartók gehören doch nach Moritzburg …

So wie die Gänse. Zur Eröffnung noch – nur durchkrächzt von einem Raben – schnatterten sie mehrfach im Hintergrund, gestern waren sie verhältnismäßig still, trotz Schostakowitsch, gegen den sie in den letzten beiden Jahren immer protestiert hatten. Allerdings gab es – auch das eine Analogie, leider eine nachteilige – mehrfach anderen Lärm von draußen, Hubschrauber zum Beispiel. Der Terrassenplatz hat eben doch Nachteile.

Mit Schostakowitschs Intensität konnten die Musiker jedoch manche Störung überspielen. Berückend war die Gegenüberstellung des in seiner Gestaltungskraft wandlungsfähigen und einfallsreichen Pianisten und des Streichquartetts – von Schostakowitsch bei Bedarf noch zusätzlich separiert –, die einander immer wieder belebende Initialpunkte waren. In der Fuge traten die Klüfte konturiert, aber nicht überscharf hervor und verloren sich in einem Spiel von Nacht und Schatten, das elegante Lento-Intermezzo begann mit einem Streichtrio, aus dem pulsierende Pizzicati des Violoncellos einen Weg nach draußen suchten – im Klavier fanden sie eine quasi organische Entsprechung und Fortsetzung. Das Finale dann gab Andrea Lucchesini Gelegenheit, Schostakowitsch impressionistisch anzureichern und ihn wundersam in den Klängen eines Glasperlenspiels funkeln zu lassen.

8. August 2022, Wolfram Quellmalz

Das Moritzburg Festival dauert noch bis zum 21. August. Heute: öffentliche Probe (19:00 Uhr, Evangelische Kirche Moritzburg).

http://www.moritzburgfestival.de

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