Diesseits und jenseits

BR-Sinfonieorchester und Daniel Harding mit sinfonischen Dichtungen bei den Dresdner Musikfestspielen

Unter den Orchestern, welche in diesem Jahr die Dresdner Musikfestspiele besuchen, nimmt das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (BRSO) eine Sonderstellung ein – weltweit ist es als Spitzenklangkörper anerkannt. Mit Daniel Harding bescherte es dem Publikum am Dienstag im Kulturpalast einen sinfonischen Abend. Daß dabei ein Klavierkonzert an dritter Stelle und nach der Pause folgte, war eigentlich nebensächlich.

Herzlich musiziert: Daniel Harding (links), Kirill Gerstein und das BRSO (rechts stehend: Konzertmeister Radoslaw Szulc), Photo: Dresdner Musikfestspiele, © Oliver Killig

Schließlich waren alle drei Werke sinfonisch angelegt. Robert Schumanns Ouvertüre zu Lord Byrons Dramatischen Gedicht »Manfred« erzählt ebenso eine Geschichte wie die Sinfonische Dichtung »Die Waldtaube« von Antonín Dvořák. Die Sinfonik in Johannes Brahms‘ zweitem Klavierkonzert (B-Dur, Opus 83) mißbilligte das Uraufführungspublikum, welches einen brillanten Virtuosen im Vordergrund gewohnt war, sogar. Mittlerweile ist das Werk nicht nur etabliert, sondern eines der beliebtesten und anerkanntesten Klavierkonzerte. Und nicht nur in den Maßen wie der Satzfolge steht es mit einer Sinfonie sozusagen auf Augenhöhe.

Die Frage der »Größe« stellte sich ohnehin nicht. Wie wollte man Sinfonik schließlich bemessen? In der Dauer der Stücke, der Anzahl der Sätze oder Teile? Die Zahl der Bilder könnte es eher treffen. Sowohl Schumanns »Manfred« als auch Dvořáks »Waldtaube« umschließen eine ganze Geschichte. Idylle und Abgrund liegen darin ebenso nah beieinander wie Natur, Religion und Mythologie. In Schumanns Overtüre beeindruckt das BRSO zunächst mit seinem Farbenspiel, gestochen scharfen Noten, einem Orchester, das zeitweise fast von den Bläser allein getragen wurde, bevor aller Klang sich in einer Strömung vereinte.

Antonín Dvořáks Sinfonische Dichtung steigerte danach die Sinnlichkeit um einige Grade, begann mit einem ephemeren Klang, exquisite Hörner und die Pauken belebten das Bild – wie bei Schumann klang die Musik zur schauerlichen Literaturvorlage dabei nicht greulich, sondern symbiotisch, quicklebendig, ambivalent. Und tragisch, denn Daniel Harding arbeitete die subtile »dunkle Seite« sorgsam heraus. Das BRSO verblüffte immer wieder mit seinem exakten, geschmeidigen Klang, Trompeten, die über ein Flageolett zu verfügen scheinen und sich dem Flötenregister näherten – Melancholie und volkstümlicher Tanz widersprachen sich nicht, sie passen zur Literaturvorlage der »Waldtaube«, blieben greifbar.

Und dann Brahms, dieses sinfonische Konzert in vier Sätzen. Mit Kirill Gerstein hatten Daniel Harding und das BRSO einen gleichgesinnten Partner, der es verstand, einerseits prägnant aus dem Orchester herauszutreten, um sich gleich darauf wieder innig mit den Streichern zu vereinen, mit den superben Bläsern zu dialogisieren. Es schien so einfach, was Daniel Harding da »mit leichter Hand« ordnete, und ging doch tief unter die Haut.

Und immer wieder durfte man staunen: Über die Holzbläserserenade mitten im ersten Satz, über die perkussive Kadenz im zweiten. Die Oboe glänzte wie zuvor (Dvořák) das Englischhorn besonders, bevor im letzten Satz Solist und Orchester einen einzigen dichten Korpus bildeten. Nachdem das Motiv mehrfach aufwärts geführt hatte, turnten es das BRSO und Kirill Gerstein jetzt munter abwärts – erfrischend!

24. Mai 2023, Wolfram Quellmalz

http://www.musikfestspiele.com

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