Vesper in der Dresdner Kreuzkirche
Es ist einer jener kirchlichen Feiertage, die im Gegensatz zu Ostern oder Weihnachten, aber auch im Vergleich zu Pfingsten, weniger »greifbar« sind – Trinitatis, das Fest der Dreieinigkeit. Gleichwohl ist es einer jener Sonntage, auf die sich die meisten anderen beziehen – bis zum Reformationsfest zählen wir in diesem Jahr 21 Sonntage nach Trinitatis.
Klar, daß der Dresdner Kreuzchor zu so einem wichtigen Fest in der Vesper der Kreuzkirche auftrat. Am Sonnabend konnte er dafür das Programm »Licht und Schatten«, das er am Donnerstag im Rahmen der Dresdner Musikfestspiele präsentiert hatte, zu einem großen Teil übernehmen. Schließlich war nicht nur der musikalische Partner, die Cappella Sagittarianna Dresden, der gleiche. Anders als vor einer Woche (Kreuzvesper und Serenade im Grünen im Pillnitzer Schloßpark) trat der Chor auch an seinem ureigenen Ort und mit seiner Botschaft auf.

Bronzerelief »Pfingsten« des Dresdner Bildhauers Heinrich Rudolph Hölbe (1848 bis 1926) im Seitenschiff der Kreuzkirche, Photo: Kreuzkirche Dresden
Für den wichtigen Trinitatis-Tag hatte Wilfried Krätzschmar dem Kreuzchor ein Introitus geschrieben, mit dessen Uraufführung die Vesper nach dem Einzug begann. Der helle, lichte Charakter (im Grunde ein Lobgesang) prägte den weiteren Verlauf bis zum Gemeindelied (EG Nr. 139 »Gelobet sei der Herr«).
Kreuzkantor Martin Lehmann hatte für das Programm aus dem vor 400 Jahren erschienenen Israelsbrünnlein von Johann Hermann Schein drei Motetten ausgewählt: »Unser Leben währet siebnzig Jahr« (Nr. 15), »Die mit Tränen säen« (Nr. 3) sowie »Ach Herr, ach meiner schone« (Nr. 19). (Wobei die erste zunächst gewöhnungsbedürftig scheint, wenn sie von einem Knabenchor gesungen wird.) Doch mit einem Kreuzchor in Hochform entbehrt selbst die Motette um das Lebensende nicht an Glaubwürdigkeit. In der Mehrchörigkeit tragfähig, wuchs der gemeinsam gefundene Schlußton zum musikalisches »Amen«, selbst wenn das Wort im Text nicht enthalten war.
Den Kreis der Motetten erweiterte Martin Lehmann im Programm um zwei aus der Feder Johann Sebastian Bachs: »Komm, Jesu, komm« (BWV 229) und »Fürchte dich nicht« (BWV 228). Bedenkt man, was der Kreuzchor mit seinem neuen Leiter in den letzten Monaten alles erreicht hat und was gelang, konnte es manchmal schon beinahe unheimlich werden. Insofern war es fast beruhigend, eine kleine Schwäche zu erkennen: vor allem die hohen Stimmen schienen bei Bach (besonders 229) etwas angestrengt. Für einmal war die Ausgewogenheit nicht so wie sonst.
Die musikalischen Partner stützten den Kreuzchor großartig. Die Cappella Sagittariana, diesmal nur mit vier Spielern besetzt, sorgte für einen farbigen Basso continuo, Stefan Maass‘ Laute unterstrich den liedhaften Charakter gerade der Satzanfänge. Kreuzorganist Holger Gehring begleitete Einzug und Gemeindegesang und sorgte mit Dieterich Buxtehudes vielteiliger Toccata in F (BuxWV 156) für einen Nachklang nach dem Wort zum Sonntag (Pfarrer Holger Milkau). Mit Heinrich Schütz‘ »Unser Wandel ist im Himmel« (aus der Geistlichen Chormusik SWV 390) präsentierte sich der Kreuzchor noch einmal von seiner besten Seite und im Kernrepertoir.
4. Juni 2023, Wolfram Quellmalz
Die Kreuzvesper am kommenden Sonnabend gestalten die Meißner Kantorei 1961 (Leitung: Georg Christoph Sandmann), Kreuzorganist Holger Gehring (Orgel) und OKR Dr. Martin Teubner, Liturgie