Dresdner Festspielorchester im Kulturpalast
Die Reihe »Originalklang« der Dresdner Musikfestspiele (DMF) begibt sich auf die Suche, wie es vor zweihundert, dreihundert Jahren gewesen sein könnte, und kehrt an wiedergewonnenen historischen Orten wie der Frauenkirche (Le Concert des Nations / Jordi Savall, Insula Orchestra) oder der Loschwitzer Kirche (Dresdner Barockorchester) ein. Selbst der Konzertsaal des Kulturpalastes ist eingebunden. Nach Robert Schumanns »Genoveva« am Sonntag (Arnold Schoenberg Chor, Helsinki Baroque Orchestra) gab sich am Mittwoch das Dresdner Festspielorchester (FSO) mit Ivor Bolton die Ehre – historisch sozusagen nicht korrekt.

Der Abend war ohnehin leicht verdreht, denn die Sinfonie (Nr. 8 von Franz Schubert) erklang vor dem Klavierkonzert (Nr. 1 von Johannes Brahms), was selbst die Posaunisten überraschte – sie mußten vor Beginn eilends herbeigeholt werden. Man hätte auch kaum auf sie verzichten können oder wollen – ihr golden schimmernder Ton gehörte zu den grandiosen Leistungen des Orchesters und den Freuden des Konzerts! Begonnen hatte es mit den Hörnern, die gedämpft einen Ferneffekt hervorbrachten – ähnlich sollten sie den Abend beim Brahms beschließen.
Daß Ivor Bolton wie ein grandioser Magier vor dem Orchester tanzen kann und es zu größter Lebhaftigkeit anregt, wissen DMF-Besucher seit langem. Verblüffend ist, wie das jeweils für die Festspiele zusammengestellte Orchester binnen kurzem zu Höchstform aufläuft und ebenso einer ausgefeilten Dramaturgie folgen wie Wohlklang aus Präzision formen kann. Und wenn man nebenbei feststellt, daß sich auch Dresdner Stimmen (Zoltán Mácsai / Horn und Robert Oberaigner / Klarinette aus der Staatskapelle) darin wiederfinden, freut das noch ein wenig mehr.
Beide waren führend an der Transparenz, der Ausgewogenheit beteiligt. Die Holzbläsergruppe sorgte am Beginn des Allegros im ersten Satz bei Schubert für den ersten Umschwung – nicht den einzigen auf dem langen Weg. Denn die »himmlischen Längen« (Robert Schumann) in der »Großen« C-Dur-Sinfonie wartet schon zu Beginn mit einer Steigerung auf, die sich über viele Wandlungsstufen vollzieht. Das FSO formulierte jede Phrase aus, nahm bereits vor den tänzerischen Mittelsätzen das dynamische Pendel der Belebung auf, im Andante con moto fanden Solooboe (Michael Niesemann) und Klarinette um so schöner, gesanglich zueinander. Nicht auf einen Höhepunkt, sondern ein ganzes Plateau führte das FSO Franz Schubert, fand auch in der Dynamik eine Entsprechung für ausgeprägte Hell-dunkel-Kontraste.
Johannes Brahms‘ Klavierkonzerte sind sehr sinfonisch gedacht. Sie ans Ende des Programms zu setzen, kann durchaus stimmig sein, hatten gerade erst Kirill Gerstein und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks bewiesen [NMB berichteten: xxxxxx]. Allerdings war die Fallhöhe diesmal mit Schuberts »Großer« vorab deutlich größer! Martin Helmchen ist zwar ein mustergültiger Pianist, der auch einen historischen Flügel (in diesem Fall die Kopie eines seltenen Instruments aus der Werkstatt von Louis-Constantin Boisselot / 1846) perlen lassen kann, doch im modernen Konzertsaal schien der historische Klang im Vergleich mit der reproduzierten Originalität des Orchesters um vieles dumpfer, weniger frisch und vital. Statt einer innigen, sinfonischen Vereinigung standen sich beide Klänge fremd gegenüber und verbanden sich nicht. Dabei hätte man sich gerne auch über die musikalische Farben des optisch prächtigen Flügels überzeugt. Doch eine Zugabe spielte Martin Helmchen nicht, vielleicht, weil er sich an diesem Ort zu verloren fühlte?
8. Juni 2023, Wolfram Quellmalz
Das Konzert wurde von Deutschlandfunk Kultur aufgezeichnet und wird zu einem späteren Zeitpunkt ausgestrahlt.