Marek Janowski verabschiedete sich mit suggestiver und alpiner Poesie
Nein, auf fünf geht vieles, aber kein Ende! Bei drei ist man auf den Bäumen, nicht bei fünf. Um fünf Uhr am Nachmittag trifft man sich zum Tee, bespricht, was am kommenden Abend werden soll oder lästert über die Skandale des vergangenen. (Um fünf Uhr morgens stiehlt sich der Kavalier aus dem Gemach der Liebsten – aber darüber schweigen wir lieber.) Ein fünfseitiges Haus mag extravagant aussehen, aber finden Sie mal Möbel, die in die Ecken passen! Mit fünf kann man wohl manches machen, aber keinen Schluß, auch mit keiner fünften Sinfonie von Anton Bruckner, das schon gar nicht.
Am Wochenende stand Marek Janowski noch einmal als Chefdirigent vor der Dresdner Philharmonie, in einem Raum, dessen wahres Leben begann, nachdem Orchester und Dirigenten den Umgang damit erforscht hatten. Das Duo Janowski und Bruckner (damals Nr. 6) war das erste, das die akustischen Meilensteine des neuen Kulturpalastes erforscht hatte. Vieles passierte seither darin, Konzerte wie Aufnahmen. Christina Landshamer, die an der Fidelio-Aufnahme beteiligt war, schwärmte erst am Freitag im Radio vom Projekt, der Zusammenarbeit mit Marek Janowski und der Dresdner Philharmonie (übrigens erinnerte sie sich auch an das letzte Konzert des Windsbacher Knabenchors mit Martin Lehmann, der – heute Kreuzkantor – eine Stunde zuvor die letzte Kreuzchorvesper des Schuljahres geleitet hatte).

Mirjam Mesak, Marek Janowski und die Dresdner Philharmonie, Photo: Dresdner Philharmonie, © Oliver Killig
Eine Sopranistin stand zunächst auch am Sonnabend im Mittelpunkt. Mirjam Mesak, Ensemblemitglied der Bayerischen Staatsoper und derzeit mit »Orphea in Love« im Kino zu erleben, war kurzfristig für die erkrankte Hanna-Elisabeth Müller eingesprungen. Benjamin Brittens »Les illuminations« schienen mit ihr aufzuglimmen – dunkel und leuchtend wie ein Mezzo klang sie noch im ersten Lied, dessen Text »Allein halte ich den Schlüssel in dieser wilden Parade« zweimal wiederkehrte (als Intermezzo sowie als Schluß des »Parade« betitelten Gesangs). In Färbung und Erregung wußte Mirjam Mesak viele Grade und Schattierungen zu beleben, hob märchenhafte Bilder mit einer Laterna musica, deren Lichtmeister Marek Janowski hieß. Die Streicher der Dresdner Philharmonie boten Schattenrisse stampfender Eisenbahnzüge, luftiger Feenreiche und von tausendundein Zauberwesen. In zwanzig Minuten erlebte das Publikum Meereswogen, einen Bolero und groteske Halunken – Mirjam Mesaks Gabe, mit Gesang zu imaginieren, schien unerschöpflich!
Begriffe wie »Unerschöpflichkeit« oder »Schöpfungskraft« liegen bei den Sinfonien Anton Bruckners nahe. Marek Janowski blieb sich treu, nicht einen massiven Eindruck wirken zu lassen, sondern die Gipfelgrade auch der fünften sorgsam auszuschreiten. Geradezu bedächtig fingen die Ecksätze an, und waren doch voll Spannung, einer Spannung, die über eine Stunde lang hielt. Wer den »Berg« so bewußt besteigt, darf einmal verweilen und genießen – im ersten Satz gab es solch einen Moment des »Ausblicks«, nachdem die Holzbläsersolisten den Strom der Streicher aufgefrischt hatten, die Horngruppe traf direkt ins Herz! (Ähnlich wirkungsvoll schloß fast eine Stunde später das Allegro moderato.) Kurz vor Satzende legte Marek Janowski den Spannungsursprung zwischen die Streicher: während die einen Pizzicato spielten (zweite Violinen, Violen, Violoncelli) sangen die anderen einen Choral (erste Violinen um Konzertmeister Wolfgang Hentrich).

Ende einer Dienstzeit: Dirigent Marek Janowski erhält Blumen von der Intendantin Frauke Roth, Photo: Dresdner Philharmonie, © Oliver Killig
In all dem lag eine Entwicklung, die musikalischen Genuß bot und Fachsimpelei über Kontrapunktik ins Reich der Langeweile verbannte. Viel interessanter: manches erinnerte an Schuberts »unvollendete« Sinfonie (Marek Janowski hat sie jüngst mit der Dresdner Philharmonie auf CD gebannt, erschienen bei Pentatone). Der Dämmerungsbeginn des zweiten Satzes in den Streichern etwa, der kurz darauf von Holzbläsern (bei Bruckner: Oboe / Johannes Pfeiffer und Fagott / Aurelius Voigt) durchbrochen wird, einen tänzerischen Schwung aufnimmt. Im dritten setzte sich dieser Impuls fort, seine Spannkraft reichte noch weit über den letzten Satz hinaus. Man mag (will!) sich kaum vorstellen, daß Marek Janowski nun die Fäden des Orchesters nicht mehr in der Hand hält. Immerhin: laut Programmheft sind »weitere Konzerte« mit ihm geplant, also Plural, mehr als nur das Gedenkkonzert in der nächsten Spielzeit.
Zunächst gab es Blumen von der Intendantin und stehenden Applaus vom Publikum. Das wäre ja noch schöner, mit fünf aufhören …
2. Juli 2023, Wolfram Quellmalz