Sonderkonzert zum 475. Gründungstag der Sächsischen Staatskapelle Dresden
Solche Jubiläen – 475 Jahre ununterbrochenen Bestehens – muß man einfach feiern. Am besten natürlich nicht mit einer »Gala«, sondern in der originären Form eines Konzerts, eines Geburtstags- oder Gründungstagskonzertes. Gestern abend standen in der Semperoper drei der wichtigsten Komponisten oder Kapellmeister der Sächsischen Hofkapelle / Sächsischen Staatskapelle auf dem Programm; jene, die das Orchester, wie es sich heute präsentiert, durch Werke und Wirken stark geprägt haben: Carl Maria von Weber, Richard Wagner und Richard Strauss.
Was könnte da besser passen als eine »Jubel-Ouvertüre« zu Beginn? Carl Maria von Webers Opus 59 war ein Auftakt mit Klang und Glanz oder Glanz und Gloria, der aber nicht den Strahlenschein in den Mittelpunkt stellte, sondern Substanz, also Themenverarbeitung und Überleitungen, und der am Ende manchen überraschte: Wer meinte, »God save the King« zu hören (was theoretisch möglich wäre, schließlich hielt sich Weber 1826 noch in London auf, bevor er dort starb), irrte nicht ganz, denn die Hymne wurde zur damaligen Zeit an vielen Königs- und Fürstenhäusern gespielt, so auch in Sachsen (»Den König segne Gott, den er zum Heil uns gab …«). Zumindest war es um 1818 so, heute erinnert sich mancher vielleicht an Elke Heidenreichs Beitrag im »Semper«-Heft vor gut zehn Jahren, als sie »König Christian dem Prächtigen« benannte …

Hochspannung: Christian Thielemann am Pult seines Orchesters in der Semperoper, Photo: Sächsische Staatskapelle Dresden, © Matthias Creutziger
Ein Sonderkonzert zum Gründungsjubiläum bringt natürlich Reden mit sich. Sachsen Ministerpräsident Michael Kretschmer würdigte die Kapelle und ihr über Kontinente in der ganzen Welt spürbares, identitätsstiftendes Dasein und gestand ihr zu: »es muß so sein, daß das Orchester seinen Dirigenten wählt«. Da müssen sich zuletzt wohl einige ihrer Verantwortung nicht bewußt gewesen sein … Ob sich der Rauch nun verzogen hat oder die Wogen geglättet wurden – der Feiertag blieb von Mißtönen ungetrübt. Vielmehr kamen die Wünsche des Ministerpräsidenten für »weiterhin unstillbare Leidenschaft und Sehnsucht nach dem perfekten Klang« der Kapelle wohl von Herzen. Und Michael Kretschmer zögerte nicht, einen ganz besonderen Dank an den Chefdirigenten anzuschließen, der nicht nur die Qualität des Klangkörpers gewahrt, sondern das Orchester zu einem Höhenflug veranlaßt habe.
(Eine andere Frage ist, ob denn politisch oder verwaltungstechnisch Verantwortliche wahrnehmen, wie an Wochenendabenden nicht nur Besuchern, welche die Semperoper und die Hofkirche verlassen, sondern schlicht jedem, der am Theaterplatz auf die Straßenbahn wartet, die Lärmbelästigung einer Freiluftdisko zugemutet wird.)
Der vom Publikum stürmisch bejubelte Christian Thielemann gratulierte seinem Orchester mit einer Rede, die bei Pallas Athene begann, Jean-Jacques Rousseau und Ludwig van Beethoven einschloß (beide hatten die Sächsische Hofkapelle nie gehört, wußten aber um deren überragende Stellung in Europa) und bei berühmten Vorgängerdirigenten wie Karl Böhm, Fritz Schuch oder Rudolf Kempe nicht endete. Nicht zuletzt hatte Carl Maria von Weber in Dresden den ersten Opernchor etabliert (…). Christian Thielemann umspannte die Kunst (fast) vom Altertum bis heute und führte sie zusammen, in den Appell an die anwesenden Politiker mündend, dieses Orchester zu behandeln wie das Meißner Porzellan und die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden – wie einen Kunstschatz eben. Hier habe sich unvergleichliches abgespielt, nicht nur mit Weber und Wagner, sondern bereits lang davor. Heinrich Schütz, erinnerte der Chefdirigent zum Beispiel, habe als erster nördlich der Alpen – hier in Dresden! – vierchörigen Gesang erklingen lassen, wie er ihn in Venedig kennengelernt hatte.
Christian Thielemann betonte, er sei und werde nicht müde, mit diesem Orchester zu musizieren – ein Hoffnungsschimmer für die Zukunft? Der Chef schien heiter: »Wenn es also schön ist, dann ist es schön. Und jetzt spielen wir Tannhäuser«.
Allerdings gab es nicht den ganzen Tannhäuser, sondern nur die Ouvertüre – mancher hätte sich mehr davon gewünscht! Schon im Piano glänzte die Staatskapelle rund und golden, im tutti gesteigerten Crescendo, das Christian Thielemann mit Bedachtheit über Stufen erreicht, hielt dieser geschmeidige Klang, ohne zu brechen oder zu gleißen – großartig! Das Pilgerthema wandelte sich, erklang mal lyrisch bis kammermusikalisch, wuchs zum Chor – genau darin liegt wohl der Zauber der Kapelle. Der historische Vergleich der »Wunderharfe« (der, wie Christian Thielemann nebenbei bemerkte, leider nicht schriftlich überliefert ist, »aber wir nehmen es gerne hin«) trifft insofern, daß die Symbolik stimmt. Die Harfe als Himmels- und Wunderinstrument hat schon immer für Zauber gestanden. Dem Klang nach »hinkt« das Bild selbstverständlich. Vielmehr, hören wir wieder bei Tannhäuser, ist das Orchester in der Lage, sich dem Duktus eines Chores zu nähern. Was insofern den »Kreis schließt«, da die Sächsische Hofkapelle einst mit einem Vokalensemble begann …
Die feine Art zu differenzieren blieb nach der Pause ebenso erhalten wie die Lust am Musizieren. Richard Strauss‘ Sinfonische Dichtung »Also sprach Zarathustra« begann mit etwas Überschwang – ein erstaunliches Baßvibrato, verblüffend, wie so etwas erzeugt werden kann, dennoch dominant. Die Balance war jedoch schnell hergestellt. Süffig und sinnlich durchflutete das Orchester die Zarathustra-Episoden, und verharrte in einem magischen Duett von Violoncello und Fagott – ein Gänsehautmoment! Kurz darauf erwacht die Kapelle neu, wurde spätestens mit dem Tanzlied immer Wienerischer. Tosender Applaus und ein ungestümer Chef, der gleich weiterbrausen wollte – ging aber nicht, der »Rosenkavalier« ist anders besetzt.
Also schnell ein paar Instrumente und Spieler gewechselt, dann erklang die Suite aus der Oper »Der Rosenkavalier«. Der Beginn gleicht einer Staatskapellen-Hymne (noch einmal der Moment, bei dem man sich die ganze Oper wünscht). Binnen gut zwanzig Minuten entfesselte Christian Thielemann alles, was im Rosenkavalier steckt: Charme, Lebensklugheit, Wiener Schmäh …Und doch führte all dies nicht in ein Tollhaus, in keinen Effektrausch aus Übermut – die Staatskapelle wahrte einen Fluß mit Akzenten. Die Stimmführer wuchsen zum Quartett, noch einmal wurde es kammermusikalisch. Nur der Auftritt des Ochs‘, der fehlte!
23. September 2023, Wolfram Quellmalz
Morgen noch einmal: Sonderkonzert zum 475. Gründungstag der Sächsischen Staatskapelle Dresden, 19:00 Uhr, Semperoper Dresden. Zuvor (11:00 Uhr) gibt es im Rahmen der Feierlichkeiten eine Aufführungsmatinée mit Dirigentin Yi-Chen Li und Sebastian Fritsch (Konzertmeister Violoncello) als Solisten