Leidenschaftlich!

Petr Popelka im Abschlußkonzert des Dvořák-Festivals Prag

Nicht immer treten Dirigenten »von der Pike auf« an, nicht immer haben sie mit dem Ziel, GMD oder Opernchef zu werden, studiert, sondern sich zunächst auf ein Instrument konzentriert. Immer wieder fangen Musiker aber aus dem Orchester heraus an, zu dirigieren. Manchmal bleibt es beim Nebenbei, manchmal wechseln sie die Position endgültig. Zunächst sah es auch bei Petr Popelka, bis 2020 Stellvertretender Solokontrabassist bei der Sächsischen Staatskapelle Dresden so aus, als würde er nur nebenbei, vor allem zu Kammerabenden oder bei der Aufführung eigener Werke, dirigieren. Doch er meinte es nicht nur ernst, er kam auch an. Während andere Dirigenten sich sorgsam eine Karriere aufbauen, legt Petr Popelka derzeit einen »Raketenstart« hin und übernahm binnen kurzem im Juni dieses Jahres die Position des Chefdirigenten der Wiener Symphoniker!

In Dresden haben wir Petr Popelka oft erlebt, nun war es Zeit, ihn in Prag zu besuchen. Gelegenheit gab das Abschlußkonzert des Dvořák-Festivals (Dvořákova Praha: International Music Festival) im Rudolfinum gestern. Schon das Programm schien exklusiv: beginnend nicht mit einer Ouvertüre, sondern Johannes Brahms‘ großem Klavierkonzert d-Moll, folgten nach der Pause zwei tschechische Werke – zumindest eine aus der Kategorie »unbekannte Entdeckungen«.

Pianist Paul Lewis ist ein ausgewiesener Experte für Brahms und auch Schubert (mit dem er sich später für den Applaus bedankte), und fand ohne Übergang oder »Eingewöhnung« mit dem Prager Radiosinfonieorchester (Symfonický orchestr Českého rozhlasu / SOČR) zusammen. Vor allem begeisterte, wie schön Petr Popelka Klavier und Orchester zu verbinden wußte. Bei Brahms ist der Solist eben nicht herausgestellt, sondern bleibt innig eingebunden. Insofern konnten viele Farben gediegen schimmern, vor allem der Hörner, während Paul Lewis für Schattierungen sorgte, durchaus aber Akzente zu setzen wußte. Der feine Anschlag und die saubere, noble Artikulation waren berückend! Der Finalsatz durfte danach mit vielen Stimmen munter sprudeln.

Mit dem ersten aus den Moments musicaux setzte Paul Lewis eine so feine wie zurückhaltende Zugabe nach.

Nach der Pause gab es mit dem De profundis von Vítězslav Novák ein Stück tschechischer Moderne zu hören. Den Psalmtext (»Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir«) hat der Komponist in drei verbundenen Sätzen umgesetzt, ohne ihn Solisten oder einem Chor zu übertragen. Seine Wirkung erreicht er durch einen Orchesterklang, bei dem er Streicher, Bläser und die Orgel verschieden kombiniert, um Stimmungen zu erzeugen. Bei gegebener Textkenntnis wirkt dies noch vertieft, doch auch ohne dieselbe werden Emotion und Stimmung deutlich. Petr Popelka lotste das SOČR souverän durch die Partitur, legte Strukturen und Textur offen und sorgte gegebenenfalls (Duett Harfe / Orgel) in solistischen Passagen für Übereinstimmung, stellte das Zeitmaß her – in jedem Fall eine lohnende Annäherung.

Abschlußkonzert des Dvořákova Praha mit dem Symfonický orchestr Českého rozhlasu, dem Český filharmonický sbor Brno und Petr Popelka, Photo: Dvořákova Praha, © Petra Hajska

Antonín Dvořáks Te Deum Opus 103 ist natürlich viel bekannter als Nováks Komposition. Dennoch können die NMB gestehen: so eindrucksvoll haben wir das Werk noch nie erlebt! Das lag nicht zuletzt am fabelhaften Philharmonischen Chor Brno (Český filharmonický sbor Brno, Einstudierung: Petr Fiala), der auf der Orgelempore des Rudolfinums platziert war und von hier eine einzigartige Ausstrahlung besaß. Präsent, ohne zu dominieren, war er jederzeit verständlich – ganz anders als Chöre, die in Konzertsälen von hinten über das Orchester »kommen« müssen.

Mit Simona Šaturová (Sopran) und Josef Benci (Baß) standen dazu zwei ausdrucksstarke Solisten zur Verfügung, auch wenn Simona Šaturová manchmal etwas viel (opernhaftes) Vibrato für den religiösen Text aufwand. In solcher Fulminanz erlebt man selbst den Romantiker Dvořák nicht alle Tage!

26. September 2023, Wolfram Quellmalz

Hinterlasse einen Kommentar