Besuch aus Wien

Elke Eckerstorfer beim Dresdner Orgelzyklus

Ein wenig versteckt zunächst, machten sich im Orgelkonzert an der Katholischen Hofkirche Dresden (Kathedrale) gestern einige Entdeckungen spätestens beim genaueren Hören bemerkbar. Manche waren auf persönliche Bezüge der Organistin Elke Eckerstorfer (Wiener Hofburgkapelle) zurückzuführen, die als erster Gast im Rahmen der Internationalen Dresdner Orgelwochen dieses Jahres auftrat. Doch nicht nur das – die meisten Komponisten hatten einen Bezug zu Oberösterreich oder Wien, und damit zu den Regionen, in denen Elke Eckerstorfer aufgewachsen ist oder wirkt.

Sogar bei Wolfgang Amadé Mozart kann man Entdeckungen machen, denn der Salzburger Hoforganist (immerhin für etwa zwanzig Monate) hat uns ausgerechnet für die Orgel (!) kaum Werke hinterlassen – traktiert haben muß er sie famos. Damit ist Mozart jedoch ein seltener Gast im Orgelkonzert, und wenn, dann wird in der Regel eines seiner Stücke für die Flötenuhr gespielt oder die Fantasie in f. Doch es gibt ein Werk für Tasteninstrument, das selbst die Pianisten selten auflegen: die Suite KV 399, die als Fragment überliefert ist. In einer Fassung für Orgel eröffneten Ouvertüre und Fuge den Abend an der Silbermann-Orgel. Im Vergleich mit der Wiedergabe auf einem Cembalo wuchs gerade der erste Teil und erfuhr eine Bach’sche Ermächtigung, aus der Ouvertüre wurde eine Intrada, woran sich eine beruhigt schreitende Fuge anschloß.

Überhaupt nahm Elke Eckerstorfer viel Rücksicht auf Nachhall und Stücke und wählte oft gemäßigte Tempi. Manches, gerade die Bearbeitung eines Violinconcertos von Antonio Vivaldi durch Johann Sebastian Bach (später im Programm), kennt man deutlich schneller. Doch gerade diese Gemächlichkeit schaffte viel Luft, gab dem Klang Freiheit und nahm ihm das Künstliche einer überbetonten Virtuosität.

So konnten sich vier der Ornamente (Opus 110) Balduin Sulzers entsprechend entfalten und ihren Humor offenbaren. Der 2019 verstorbene Komponist muß ein Schelm gewesen sein, hat er doch – mehrfach – das Klingeln eins Handys imitiert und als Sequenz verarbeitet. Zwei Turmmusiken und zwei Toccaten tummelten sich im Kirchenraum und loteten die Bläserregister aus. Wobei die Organistin auch beim Registrieren gleichmäßig blieb, unterschiedliche (oder gegensätzliche) Charakterdarstellungen mied, dafür aber hier und da Kontraste betonte.

Mit Flöten läutete oder vielmehr blies sie Johann Kaspar Kerlls Passacaglia ein, ein Kleinod der Vor-Bach-Zeit und ein Stück, dem die Entfaltungsmöglichkeiten wohltaten. So eroberte das Thema stufenweise den Raum, schien an Höhe zu gewinnen und bekam schließlich einen Sternenglanz.

In Johann Sebastian Bachs Concerto d-Moll (nach Antonio Vivaldi RV 565) blieb die Bedächtigkeit erhalten, was einerseits das Stück quasi »auf die Orgel holte« (beruhigte im Vergleich zu den merklich flinkeren Violinen des Originals), andererseits (bzw. dies unterstreichend) wurde deutlich, daß Kontraste nicht nur in Motiven, Tempi oder Registern liegen können, sondern eben auch in der Dynamik. Mit »Kontrasten« sind durchaus keine »harten« Schwarz-weiß-Übergänge gemeint, sondern mitunter sachte Betonungen, wie beim Siciliano-Charakter des Largo et spiccato, den Elke Eckerstorfer herausstellte.

Mit Johann Nepomuk Davids Choralvorspiel zu »Komm, Heiliger Geist, Herre Gott« und der passend gewählten und direkt angeschlossenen Toccata super »Veni creator spiritus« Rupert Gottfried Friebergers führte die Organistin noch einmal in die österreichische Musikgeschichte. Rudolf Bibls »Abendruhe« (aus den Sieben Charakterstücken Opus 87), zumal nicht als Schlußstück und Verabschiedung in die Nacht vorgesehen, wirkte im Vergleich mit den bezugsreichen Werken in seiner klaren, aber auch ein wenig simpel oder eindeutig scheinenden Darstellung ein wenig verloren.

Das bestätigte sich im echten Schluß, Franz Schmidts Präludium und Fuge D-Dur. Weit davon entfernt, oft gespielt zu werden, fanden Werke des Komponisten in Dresden immerhin großen Nachhall: sowohl seine Oper »Notre Dame« (Semperoper) als auch sein Oratorium »Das Buch mit den sieben Siegeln« (Frauenkirche) waren hier zu erleben (freilich ist das, 2010 und 2016, schon wieder einige Jahre her). Mithin: man kennt hier mehr als nur das Zwischenspiel aus »Notre Dame«. Schmidts Orgelwerke indes hört man noch seltener als jene Mozarts, und so war noch diese Erfahrung mit einer Entdeckung verbunden, oder gleich mit vielen. Denn einerseits beeindrucken die beiden Teile mit ihrer schieren Sinfonik, dann wieder mit dem charakteristischen Jubel des darin verarbeiteten »Halleluja«. Und es schien fast, als sei da noch mehr versteckt – auf jeden Fall hat Franz Schmidt die Choraltradition in seine Fuge gekonnt eingewoben.

7. Juli 2022, Wolfram Quellmalz

Nächstes Konzert der Internationalen Dresdner Orgelwochen / Dresdner Orgelzyklus: 13. Juli, 20:00 Uhr, Kreuzkirche Dresden. Andreas Jost (Großmünster Zürich / Schweiz) spielt Werke Johann Sebastian Bachs und des 20. Jahrhunderts. Mehr zu seinem Programm »Züricher Spezialitäten … und Anderes« gibt es bereits 19:19 Uhr im Gespräch unter der Stehlampe zu erfahren. Mehr unter: http://www.kreuzkirche-dresden.de

Ein Kommentar zu „Besuch aus Wien

  1. Ganz herzlichen Dank für die treue musikjournalistische Begleitung des Orgelzyklus, ob in den DNN oder (nur) hier. Es bereitet mir regelmäßig große Freude, die Konzerte auf diese Art und Weise nochmals nachvollziehen zu können.

    Beste Grüße
    Stefan Zimmermann

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