Liv Migdal und Schaghajegh Nosrati in der Dresdner Frauenkirche
Es war nicht der erste Besuch von Liv Migdal in Dresden, auch nicht in der Frauenkirche. Aber er bestätigte den Eindruck, den man von der jungen Künstlerin gewonnen hat: sie ist nicht nur um ein weites Repertoire bemüht, sie erarbeitet es sich, nähert sich an, und: sie ist in der Lage, einen Ton aufzubauen. Nicht nur die Vertreter von Zeitgenössischer Musik oder von Minimal music wissen um diese Bedeutung. Herbert Blomstedt hat im Gespräch mit den NMB betont, daß schon ein einzelner Ton Ausdruck hat. Ein C wird nicht allein durch Tonhöhe (Frequenz), Lautstärke oder Länge bestimmt, es kann zudem Attribute wie »kraftvoll«, »sehnsüchtig« oder »fröhlich« tragen.
Liv Migdal beherrscht nicht nur die dafür notwendige Technik, sie hat sie geradezu verinnerlicht. Das zeigte sich gestern im Konzert in der Unterkirche der Frauenkirche gleich in den ersten beiden Stücken: Johann Sebastian Bachs Sonate für Violine und Basso continuo (bzw. Cembalo) BWV 1021 und Robert Schumanns »Große Sonate« Opus 121. Beide unterscheiden sich nicht nur nach Entstehungszeit bzw. Epoche, sondern im Charakter, was sich in höchst unterschiedlichen Ausdruckswelten niederschlug. Für Bach wählte Liv Migdal einen sauberen, kristallklaren Ton, der dennoch den ganzen Raum ausfüllte. Die feine Artikulation ist für die Violinistin längst typisch. Bei Schumann klang ihr Ton gewandelt – weicher, geschmeidiger, glühender. Die Leidenschaftlichkeit, die auch den Weg in den Programmtitel gefunden hatte, wurde hier maßstäblich.
Wie schön, wenn sich zu solcher Stimme eine gleichberechtigte findet. Mit Schaghajegh Nosrati am modernen Klavier rückten Betrachtung über Gleichberechtigung (der Stimmen) oder die Instrumentenwahl (Klavier / Cembalo / andere Basso-continuo-Besetzungen) in den Hintergrund. Denn sowohl »trafen« sich die beiden Musikerinnen punktgenau (oder kontrapunktisch exakt), vor allem stimmten sie im Ausdruck überein, also auch da, wo die Balance zwischen den Instrumenten einmal verschoben war. Damit »saßen« die Akzente, emotionale Betonungen, die Liv Migdal gerade bei Schumann anbrachte. So feinnervig, aufgewühlt, geriet die Sonate nicht nur in der Dimension groß, sondern im Spektrum der Darstellungskraft.
Mit den Sechs Stücken für Violine und Klavier von Amanda Maier gab es nach der Pause Gelegenheit zu einer Wiederentdeckung. Erneut lohnte das Hinhören mehr als das Fachsimpeln über Wertigkeiten oder gar über Komponistinnen (Wollen Komponistinnen nicht, wie ihre männlichen Kollegen, für ihr Komponieren wahrgenommen werden?). Amanda Maier, die Schülerin (Lieblingsschülerin, wie manche Quellen sagen) von Edvard Grieg studierte in Leipzig und war mit vielen Größen ihrer Zeit bekannt – und von ihnen anerkannt. Zunächst als Violinistin, denn darin fand sie wohl die Hauptbeschäftigung. Überlieferte Werke gibt es zwar nicht viele, aber sie lohnen der Beachtung, so wie die Sechs Stücke. Sie begannen capricehaft (erstes), glichen Miniaturen, einem lyrischen Walzer mit humoristischem Schluß (zweites). Spätestens mit dem vierten ließ Amanda aber sozusagen gehörig aufhorchen. Denn das an Schumanns Scherzo erinnernde Stück wächst nicht nur beträchtlich, es überzeugt in einer großen Anlage incl. Trio nicht minder in der Form. Liv Migdal und Schaghajegh Nosrati ließen ihm die Beachtung angedeihen, die das Stück verdient – wer sinnierte da noch über Werte und Komponistinnen? Auch das fünfte der Stücke entwickelte sich aus einer romantischen Leichtigkeit in ein zauberhaftes Nocturne, bevor das letzte, tänzerischste, mit Synkopen einen volkstümlichen Charakter mit mitreißenden Elementen ausfüllte.
Da hatte es Edvard Griegs zweite Violinsonate als Schlußstück zunächst fast schwer. Ihr spröder Charme entwickelte sich jedoch, wich erneut einer Leidenschaftlichkeit, wie im Allegretto tranquillo, das schattenhaft begann. Für Liv Migdal gab es Gelegenheit, Vielseitigkeit zu zeigen – wie schön, daß sie sie niemals repräsentativ herausstellte! Und Schaghajegh Nosrati durfte, gerade bei Schumann und Grieg, mitunter gehörig auftrumpfen, schien letzterer doch in seinem Allegro animato einen Blick in die »Halle des Bergkönigs« werfen.

Erscheint in wenigen Tagen bei Thorofon: Luigi Cherubini: Vokalmusik für 1-3 Frauenstimmen, Violine, Cembalo & Klavier »The Cracovian Album«, mit: Andrea Chudak (Sopran / Produzentin), Yuri Mizobuchi (Mezzosopran), Irene Schneider (Alt), Liv Migdal (Violine), Anne Bussewitz (Cembalo) und Yuki Inagawa (Klavier)
Am Wochenende stehen Händels »Messias« (9. Juli, 20:00 Uhr) und Wolfgang Amadé Mozarts »Trinitatismesse« (10. Juli, 16:00 Uhr) mit Ensembles des Hauses auf dem Programm der Frauenkirche. Am 16. Juli gastieren dann Maurice Steger (Flöte und Leitung) und das Zürcher Kammerorchester. Mehr unter: http://www.frauenkirche-dresden.de