Musik mit Sonnenaufgängen und Hall-Effekten

Elbland Philharmonie Sachsen bricht musikalisch nach Norden auf

Denkt man an nordische oder skandinavische Musik bzw. Komponisten, fallen einem Namen wie Jean Sibelius oder Carl Nielsen wohl zuerst ein. Der Däne Niels Wilhelm Gade gehört ebenso in diesen Kreis, auch wenn uns sein sinfonisches oder Opernwerk leider weniger geläufig ist als seine Orgel- und vor allem die Kammermusik. Ein wichtiger Lebensabschnitt verbindet Gade mit der Stadt Leipzig und dem reichen Musikleben seiner Zeit. Mit Felix Mendelssohn zum Beispiel war er vertraut und wurde sogar dessen Nachfolger beim Gewandhausorchester. Mendelssohns Witwe Cécile soll ihn später um die Vervollständigung von Felix‘ drittem Klavierkonzert gebeten haben, ein Ansinnen, das Gade aber aus Respekt abgelehnt hat (erst seit 2009 gibt es die beiden Rekonstruktionen von Larry Todd und Marcello Bufalini).

Das Vorbild Mendelssohn scheint in manchem durch die Konzertouvertüre »Efterklange af Ossian« (Nachklänge von Ossian) durchzuschimmern, die im Gestus ein wenig an »Fingal’s Cave« erinnert und wie diese eine schottische Thematik aufgreift. So verbindet beide Werke ein oft dunkler, mystischer Grundton, aber auch eine vitale, in Töne gegossen Naturgewalt.

Die Violen der von Chefdirigent Ekkehard Klemm geleiteten Elbland Philharmonie durften mehrfach an diesem Abend voranschreiten, ebenso wie es nicht nur bei »Efterklange af Ossian« mit den Holzbläsern ein Aufdämmern gab. Gerade die Streicher präsentierten sich in der gestern Marienkirche Pirna sehr geschlossen, was Gades verblüffenden Eindruck, der seine Ouvertüre beinahe unmerklich, also ohne effektvolle »Rampe«, wachsen läßt, noch verstärkte. Geradezu majestätisch glitt sie dahin, allerdings mit einem vorübergehend übermächtigen Blechbläserklang, welches die feineren Streicherstrukturen übertönte. In den späteren Abschnitten war die Balance bereits wieder gegeben.

Oleg Shebeta-Dragan im gestrigen Konzert, Photo: Elbland Philharmonie Sachsen, © Klaus-Dieter Brühl

Trotz einiger Holzbläsersoli war deren Hervortreten noch keine Ankündigung dessen, was nun folgen sollte: Carl Nielsen Konzert für Klarinette und Orchester Opus 57 ist im Vergleich ungemein modern und sozusagen polyglott. Ganz offensichtlich verschlingen sich darin die vielfältigen Anregungen vom Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts mit seinen diversen Aufbrüchen, seinem Wissens- und Forscherdrang ebenso wie sich An- und Nachklänge der ersten Katastrophen (Erster Weltkrieg) finden. Das alles scheint mitten aus dem Erleben heraus beschrieben zu sein, unbändig und mit stetig sich wandelnden Gefühlen (im Gegensatz zu dem, der mit Abstand betrachten und bereits einordnen konnte). Allerdings mußte der Solist relativ kurzfristig ersetzt werden. Nach der krankheitsbedingten Absage von Bettina Aust sprang mit Oleg Shebeta-Dragan jedoch ein absoluter Kenner ein. Oleg Shebeta-Dragan hat unter anderem 2022 den Carl Nielsen Competition in Odense gewonnen und im vergangenen Jahr mit dem Odense Symfoniorkester Nielsen Klarinettenkonzert eingespielt (Veröffentlichung steht noch bevor).

Den hoch virtuosen Parcours der Sprünge und Läufe, zu dem auch schnelle Doppeltöne gehören, die für einen Echoeffekt sorgen, bewältigte Oleg Shebeta-Dragan offenbar mühelos und mit gestalterischer Raffinesse, welche den Klang der Klarinette einmal wie kristallin hervortreten, dann wieder kantabel und lyrisch schweifen ließ. Nielsens selbst in der Form ungewohntes Konzert wandelt zwischen komplexen Solo-Tutti-Passagen, in die sich immer wieder die kleine Trommel einmischt, bindet Kadenzen ein und findet noch in Umkehrpunkten des Verweilens zu einem kurzen Intermezzo-Bild.

Mit Jean Sibelius‘ fünfter Sinfonie (Es-Dur / Opus 82) wurde die nordische Weite ein weiteres Mal aufgebrochen. Ohne Streicher begannen die Holzbläser (leider ein wenig inhomogen), die bald von den tiefen Blechbläsern in einem Fundament gehalten wurden. Die beginnende Belebung (oder Aufregung) ging mit einem weiteren musikalischen Sonnenaufgang einher; erneut verschmolzen Streicher und Bläser zu einem festen Korpus, aus dessen Tutti Ekkehard Klemm den Nach-Hall im Kirchenschiff wirken ließ. Interessant war zudem, wie die Emotionalität weiter zunahm, über die aufgeregten Tremoli des Anfangs hinaus an Kraft gewannen.

Obwohl Sibelius »greifbarer« als Nielsen schien, überraschte er doch in manchem, nicht allein in Chromatik und Harmonie, sondern noch, wenn man den Satzbezeichnungen folgte: Andante mosso, quasi allegretto – ein bewegtes, Andante und fast schon munter und fröhlich – das muß man erst einmal ausbalancieren! So spiegelte sich auch der dritte Satz zwischen Sonnenglanz und Mystik – die Emotionalität blieb erhalten bis in den Nachhall der letzten Blechbläserakkorde.

19. April 2024, Wolfram Quellmalz

Noch einmal morgen (18:00 Uhr, Landesbühnen Sachen) und am 27. (18:30 Uhr, Stadthalle »stern« Riesa) und 28. April (17:00 Uhr, Kulturschloß Großenhain) sowie am 1. Mai (16:00 Uhr, Theater Meißen)

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