Anrührend!

Collegium Vocale Gent mit Bachs h-Moll-Messe in der Dresdner Frauenkirche

Ein ganzer Monat Musik mit vielen Höhepunkten – am Freitag gingen die Dresdner Musikfestspiele in die Zielgerade. Doch kein Abschlußfeuerwerk stand auf dem Programm, sondern Johann Sebastian Bachs Messe h-Moll (BWV 232). Philippe Herreweghe sorgte mit seinem Collegium Vocale Gent für eine demütig-sanft schimmernde Ausleuchtung.

Traumbesetzung: Collegium Vocale Gent mit Bart Cypers (Horn), Philippe Herreweghe (Dirigent, Mitte) und Johannes Kammler (Baß), Photo: Dresdner Musikfestspiele, © Oliver Killig

Mögen uns das Weihnachtsoratorium oder die Matthäuspassion auch stärker mitreißen, in noch höhere Feststimmung versetzen – doch beide und kaum ein anderes Werk sprechen uns so unmittelbar und zu Herzen gehend an wie die h-Moll-Messe, die nicht mit einer instrumentalen Einleitung Beginnt, sondern den Sopran unmittelbar das erste Kyrie eleison (Herr, erbarme dich) ausrufen läßt. Dorothee Mields Sopran verfügt über die außerordentliche Qualität, gleichermaßen samten wie strahlend zu sein und hob sich als erster in den Raum der Frauenkirche. Der Chor folgte sogleich nach, im Orchester des Collegium Vocale Gent gefielen schon hier die Bläser, die sich jederzeit hinter die Sänger oder den Chor zurücknehmen konnten. Gerade die Posaunen vermittelten einen teils frappierenden Eindruck, waren sie doch hell und wahrnehmbar, ohne grelle, schneidende Töne zu erreichen.

Hana Blažíková und Dorothee Mields (Sopran), Guy Cuttings (Tenor), Photo: Dresdner Musikfestspiele, © Oliver Killig

Den Solisten und dem Chor räumte Dirigent Philippe Herreweghe den größten Raum ein. Überraschend war, daß er sie alle in einem Ensemble zusammenfügte, sodaß einerseits die Soprane deutlich in der Überzahl waren, während die Altgruppe aus drei Altisten und einer Sängerin bestand. Daß die Stimmen dennoch ausgewogen verteilt waren, sich homogen fügten, zeugte von einem der Qualitätsprädikate der Aufführung. Daß einzelne Soli (Baß) aus dem Chor heraus übernommen wurden, war also ganz natürlich.

Das Niveau der Solisten war insgesamt hoch, auch war Philippe Herreweghe der Luxus gegeben, über zwei ganz unterschiedliche Soprane (mit Hana Blažíková) zu verfügen. Und doch verblüffte die Gleichheit und Gleichartigkeit, in der sich der Sopran von Dorothee Mields und Guy Cuttings Tenor gegenüberstanden. Im Duett Domine Deus wurden sie zudem von der Traversflöte Patrick Beukels als dritter Stimme unterstützt. Auch die Oboen füllten immer wieder solche gesanglichen Partnerrollen aus, für glänzende Augen sorgte aber vor allem Bart Cypers (Horn) im Quoniam tu solus sanctus, wozu nicht nur der edle Klang der Holzbläser zu vernehme war, sondern Johannes Kammler zeigte, wie schön ein Baß »leuchten« kann.

Patrick Beukels (Traversflöte), Photo: Dresdner Musikfestspiele, © Oliver Killig

In Sachen Klang, Strahlen oder Ausstrahlung lagen wesentliche Partien beim Alt, in diesem Fall einem Altus: Alex Potter, der mit wesentlichen Strophen (unter anderem »Qui sedes ad dexteram Patris« / »Der du sitzest zur Rechten des Vaters …«) und vor allem dem »Agnus Dei« (Lamm Gottes), die Herzen des Publikums eroberte.

Der Chor blieb über die lange Strecke der Messe meist vital, nur wenige Ausnahmen, wenn sie alle in einem Tutti ohne markante Dramaturgie vereinten (Anfang des Osanna), wirkten etwas hölzern. Sonst aber blieben ein rhythmisch getriebener Fluß und ein pulsierender Baß als lebensspendende Merkmale erhalten. Erfreulich war, daß der Chor einerseits die Kraft hatte, im Kirchenschiff für einen starken, kräftigen Eindruck zu sorgen, andererseits die Durchhörbarkeit gerade in den Fugen erhalten blieb. Die anrührenden, teils erregenden Textpassagen, vor allem mit Dorothee Mields, Guy Cutting und Alex Potter, erfuhren aber auch kontemplative Ruhepausen (Qui tollis peccata mundi / Der du trägst die Sünden der Welt). Da war es eigentlich schade, daß aus verständlichen Gründen (Werklänge von annähernd zwei Stunden) nach dem Gloria eine Pause eingelegt wurde. Denn das folgende Credo hat keinen eigenen Beginn (wie im Fall des Kyrie), sondern schließt ebenso unmittelbar an das zuvor erklungene an.

Solisten mit Alex Potter (Altus, zweiter von rechts), Photo: Dresdner Musikfestspiele, © Oliver Killig

Das Collegium Vocale Gent stellte den Verlauf bzw. Anschluß aber schnell her, arbeitete den Freudenschrei des »Et resurrexit tertia die« (Und auferstanden ist am dritten Tage) großartig heraus. Unbedachter Jubel war es nicht, schließlich folgte Alex Potters innige Klage-Bitte (Agnus Dei) erst noch. Über Amen, Osanna und Dona nobis pacem erfuhr Bachs Messe eine so bedachte wir bewußte Steigerung – da hätte man fast nicht applaudieren, sondern einfach still verharren wollen.

8. Juni 2024, Wolfram Quellmalz

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