Mit Schirm, Schal und Melodie

Moritzburg Festival bei höchst unterschiedlichen Bedingungen eröffnet

In seiner 32. Auflage bleibt sich das Moritzburg Festival (MBF, noch bis 18. August) treu, zeigt Beständigkeit in leichtem Wandel. In manchem gibt es sogar eine Rückkehr – nach einigen Jahren, in denen man sich von der zeitgenössischen Musik abwandte, ist 2024 wieder ein Composer in Residence eingeladen. Zwei Werke genügen Benjamin Scheer für den Titel, sie werden am Ende des MBF mit einer europäischen Erstaufführung (»The funambulist’s double«) und einer Uraufführung erklingen. »Nachts im Monströsensaal« heißt es dann zum Abschlußkonzert, einem Auftragswerk des MBF.

Im Monströsensaal des Schlosses freilich spielt das Festival schon lang nicht mehr. Denn aus der pandemiebedingten Notlösung von 2020, auf der Schloßterrasse zu spielen, wurde mittlerweile eine Dauereinrichtung. Die einen mögen es, den anderen fehlt die echte Kammermusikatmosphäre. Am Eröffnungswochenende konnte man Vor- und Nachteile an zwei höchst unterschiedlichen Abenden erleben: nach dem verregneten Freitag wollte das MBF den Joker des Ersatzspielortes, der Evangelischen Kirche Moritzburg, nicht ziehen. Nur blieb es draußen auch nach der Aufklarung unangenehm kühl. Es wäre doch mehr als eine Überlegung wert, »schlechtes Wetter« nicht nur auf Regen, sondern auch auf Kälte zu beziehen! Vor allem in der zweiten Konzerthälfte fror man schlicht auf der ausgekühlten Terrasse, da mochten die von den Moritzburger Teichen hereinziehenden Nebelschleier noch so malerisch sein und nach Beethovens Geistertrio rufen.

Brahms-Quintett: Mira Wang, Kristīne Balanas, Raphaël Sévère, Sindy Mohamed und Pieter Wispelwey, Photo: Moritzburg Festival, © Oliver Killig

Ohnehin stand Beethoven nicht auf dem Programm, sondern Mozart, Piazzolla und Brahms. Alle drei sind musikalische Urgesteine in Moritzburg (Piazzolla wird in diesem Jahr noch mit einem »Sommernachtstango« am 16. August ab 22:00 Uhr gefeiert). Auf Seiten der Spieler gibt es die Urgesteine ebenso: Kai Vogler (Violine) und Ulrich Eichenauer (Viola) gehörten schon zur Gründungsbesetzung, sie fanden sich mit Martin James Bartlett (Klavier) und Margarita Balanas (Violoncello) für Wolfgang Amadé Mozarts Klavierquartett Es-Dur (KV 493) zusammen. Freilich hätte gerade dieses intime Werk besser in einen Raum, die Kirche gepaßt. Obwohl die Akustik wegen der sensiblen Verstärkung in Moritzburg meist hervorragend ist, konnte sich die Atmosphäre nicht recht entfalten. Vielleicht auch, weil sich die Spieler auf der überdachten Bühne gegenseitig anders hören und wahrnehmen als in einem geschlossenen Raum. So waren zunächst die (wunderschönen) Führungsstimmen von Violine und Violoncello überpräsent, blieben Klavier und vor allem Viola stark im Hintergrund. Im zweiten Satz zeigten sich zarte Bande zwischen Klavier und Violine sowie Klavier und Violoncello, bevor im dritten das Neckspiel zwischen Klavier und Violine reizvoll hervortrat.

Mit einer Fassung von James Barralet, der Astor Piazzollas »Die Vier Jahreszeiten« für acht Violoncelli eingerichtet hat, traten neben Jan Vogler die Teilnehmer des Meisterkurses Neuhardenberg in Erscheinung. Ester Chae hatte als Mentorin den begleitet und saß nun an Voglers Seite. Freilich merkte man hier und da (Einsätze und Intonation), daß auch ein intensiver Tag noch nicht zur Perfektion gereichte. Für einen temperamentvollen, publikumswirksamen Auftritt aber schon – viel Applaus und Neugier auf die Auftritte der eigenen Akademie, die beim Proschwitzer Picknick (11. August) und der Serenata di Moritzburg (12.) zu erleben sein wird.

Teilnehmer des Meisterkurses Neuhardenberg mit Jan Vogler (links), Photo: Moritzburg Festival, © Oliver Killig

Wenn auch mittlerweile äußerlich fröstelnd, erwärmte Johannes Brahms‘ Klarinettenquintett h-Moll (Opus 115) das Publikum nach der Pause innerlich. Es brachte neben dem Auftritt von Mira Wang und Kristīne Balanas (Violinen) sowie Sindy Mohamed (Viola) weitere neue Gäste nach Moritzburg: den Klarinettisten Raphaël Sévère und den vor allem in der Alte-Musik-Szene bekannten Cellisten Pieter Wispelwey. Die fünf konnten in Brahms‘ herrlichem Quintett geradezu verschmelzen, wenn sich nicht Violoncello und Klarinette keck befochten. Ohnehin erwies sich Raphaël Sévères Piano als sagenhaft. Das Adagio wandelte sich denn in ein betörendes Nocturne, bevor das Andantino den Eindruck einer familiären Sonate für Klarinette und Streicher verstärkte. Mit Ruhe, nicht Verve, fanden die fünf zusammen und blieben sich, bis zum ausgehaltenen Schlußakkord einig.

Wie anders waren die äußeren Umstände am Sonnabend – von Wetterseite her erfreulicher bzw. bekömmlicher. Nicht bekömmlich bzw. noch nicht ausreichend überwunden war ein Sturz von Kristīne Balanas, weshalb Béla Bartóks »Kontraste« kurzfristig entfallen mußte. Die ursprünglichen Triopartner Raphaël Sévère und Wu Qian (Klavier) nahmen dafür Johannes Brahms‘ zweite Klarinettensonate (Opus 120, Nr. 2, Es-Dur) ins Programm.

Zuvor spielten Maxim Rysanov (Viola) und Pieter Wispelwey einen Moritzburg-Klassiker, das Duo Es-Dur »mit obligaten Augengläsern« von Ludwig van Beethoven. Und das nicht nur spielerisch gekonnt, sondern mit dem Humor, den schon der Komponist (mit dem versteckten Hinweis, die kleinen Noten genau zu lesen) hineingesteckt hatte. Hüpfende Bögen gehörten ebenso dazu wie das Austauschen der Augengläser bis hin zu Sonnenbrillen.

Brahms‘ Sonate war für Moritzburg-Kenner ein weiteres Beispiel für die kammermusikalische Finesse von Wu Qian, die sich schier grenzenlos an ihre jeweiligen Partner anpassen, in sie einfühlen kann. Noch leise fanden beide – ganz brahmsisch – in satten Tönen zueinander, eine süße und zärtliche Annäherung, die sich bis zum letzten Satz und der hell jubelnden Klarinette emphatisch steigerte.

Keine Schattengestalt, sondern Gründungsmitglied: Kai Vogler (Violine), Photo: Moritzburg Festival, © Oliver Killig

Und auch Antonín Dvořák ist aus Moritzburg nicht wegzudenken. Ebenso eng sind die Verbindungen zu seinem Freund und Mentor Johannes Brahms. Dvořáks Klavierquartett Nr. 2 (Opus 87) teilt nicht nur die Tonart Es-Dur mit dessen eben verklungener Sonate, sondern manchen inneren Gestus. Mit Martin James Bartlett (Klavier), Kai Vogler, Maxim Rysanov und Henri Demarquette (Violoncello), begannen Dvořáks Quintett mit den Streichern fanfarenähnlich, vereinten sich bald hymnisch mit dem Klavier. Pizzicati, die viel geschmeidiger als jene Piazzollas am Vortag waren, herzten die Ohren, im dritten Satz gaukelten die Streicher, als wären es die Wiener Schrammeln – so süffig und genußvoll gehört es beim MBF auf die Bühne!

4. August 2024, Wolfram Quellmalz

https://www.moritzburgfestival.de

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