Kein automatischer Ablauf, sondern Erneuerung der Botschaft

Dresdner Kammerchor im Kulturpalast

Nachdem es seit dem Ewigkeitssonntag zumindest in Sachen Lichter und Weihnachtsmärkte »kein Halten« mehr gab, zogen am Wochenende die musikalischen Programme nach, nun allerdings kalendarisch angemessen und vor allem mit Inhalten bereichert. Das Konzert des Dresdner Kammerchores zum 1. Advent im Kulturpalast zählte auf jeden Fall dazu. Dabei hat Hans-Christoph Rademann nicht nur mit seinem Kammerchor in der Vergangenheit bereits einige Weihnachtsprogramme gestaltet, so daß sich Wiederholungen nicht vermeiden ließen bzw. – man denke etwa an »Es ist ein Ros entsprungen« – sogar gewünscht und erwartet wurden. Oder Heinrich Schütz – Hans-Christoph Rademann gab im Radiogespräch zu, eigentlich nicht in der Lage zu sein, auf Heinrich Schütz zu verzichten. Er sehe ihn als einen »Ausleuchter« des Wortes. Das Ziel sei also, bei Wiederholungen keinen automatischen Ablauf zu generieren, sondern dem Wortsinn nachzulauschen, den Inhalt, den der Chor überbringen will, immer wieder neu zu erfassen.

Das Konzert auf Einladung der Dresdner Philharmonie schien diesem Geist zu entsprechen. Auch jenem, wonach sich der Dresdner Kammerchor in seiner Charakteristik treu bleibt, aber immer wieder regeneriert. Langjährige Sänger wechseln zum Beispiel in eine Solokarriere und werden ersetzt. Das gelingt jedoch scheinbar problemlos.

Und so schlug der Dresdner Kammerchor mühelos eine Brücke vom romantischen Repertoire eines Felix Mendelssohn (»Frohlocket, ihr Völker«) und Johannes Brahms (»O Heiland, reiß die Himmel auf«), die schlank und sinnlich ausgeleuchtet wurden, hin zu Johannes Eccards »Übers Gebirg«, das zum alten Liedgut zählt. Bemerkenswert war, daß der Übergang nicht nur bruchlos gelang, sondern daß der typische Chorklang im Grunde erhalten blieb, statt sich an die Zeit der Komposition anzupassen. Trotzdem erreichte er ein höchstes Maß an Authentizität.

Da war es fast konsequent, daß auch Neufassungen überlieferter Lieder im Programm zu finden waren. Michael Praetorius‘ »Es ist ein Ros entsprungen« in der Fassung von David Sandström ist mittlerweile eine der Weihnachtshymnen des Dresdner Kammerchores, verbindet die frohe Botschaft, die hier jedoch getragen fließt, mit einem weiten Klang, der den Himmel zu öffnen scheint. Der letzte Konzertteil war mit Titeln angereichert, die aus oder nach Volksliedern und traditionellen Stücken von Max Bruch (»Wiegenlied der Hirten«), Robert Schumann (»Weihnachtslied« Opus 79 Nr. 16) und Max Reger (»Oh Jesulein süß«) geschrieben waren.

Zwischen den drei Hauptteilen des Chores spielte Pascal Kaufmann an der großen Eule-Orgel Antonio Vivaldis Largo e Allegro aus dem Concerto d-Moll (RV 565) sowie später Prière aus Camille Saint-Saëns‘ Oratio de Noël (Orgelfassung) und Leon Boëllmanns Menuet aus der Suite Gotique (original). Daß die Stimmen einer Orgel jenen eines Chores in vielem entsprechen oder sie sich nahekommen, war hier auf angenehme und »einleuchtende« (um das Wort noch einmal aufzugreifen) Weise erfahrbar.

Natürlich durfte Musik von Heinrich Schütz nicht fehlen. Geradezu als »liebenswert« empfindet sie Hans-Christoph Rademann immer dann, wenn es um Kinder geht. Er hatte »Das Wort ward Fleisch«, »Tröstet mein Volk« und »Ein Kind ist uns geboren« ausgewählt. Den Chor begleitete hier Konrad Schöbel an der Truhenorgel. Mit Michael Praetorius‘ »Wie schön leuchtet der Morgenstern« und »Quempas« verharrte der Dresdner Kammerchor noch etwas in der Zeit, bewies seine emotionale Lebendigkeit. Und schuf ein eigenes Gegenüber in den aufgeteilten Chorstimmen oder mit Solisten aus den eigenen Reihen. Am beeindruckendsten vielleicht mit Hannah Geef und Johanna Jäger (Sopran) sowie Delia Moribadi und Anne Hartmann (Alt) in »Quempas«. Die Brücke ins zwanzigste Jahrhundert führte unter anderem über Benjamin Britten. Seine »Hymn to a Virgin« gehörte zum feinsten, lyrischen Chorgesang. Das Konzert wurde aufgezeichnet und auf DLF Kultur übertragen. Es erklingt noch einmal am Euroradio Christmas MusicDay, dem 15. Dezember, ab 12:00 Uhr auf den Kulturradios der ARD.

2. Dezember 2024, Wolfram Quellmalz

CD-Tip: Michael Praetorius, »Es ist ein Ros entsprungen«, Chormusik zu Advent und Weihnachten, mit weiteren Werken von: Melchior Vulpius, mit Isabel Schicketanz, Jonathan Mayenschein, Christopher Renz, Martin Schicketanz, Dresdner Kammerchor, Hans-Christoph Rademann, erschienen bei Accentus

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