Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik
Vor 38 Jahren rief der damalige Intendant Udo Zimmermann die Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik ins Leben, seit 2002 sind sie im Festspielhaus Hellerau, (HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste) zu Hause. Seit 1978 kamen andere Intendanten mit anderen Ideen, zwischenzeitlich hieß das Neue-Musik-Fest »TonLagen«, fand vor der Pandemie nur biennal statt. Unter der Leitung von Moritz Lobeck hat es zuletzt Anschluß gefunden an die Idee von Udo Zimmermann und nicht nur den alten Namen aufgegriffen. Die mittlerweile 32. Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik sind – wie von Zimmermann erdacht – als Begegnung der Künste zu verstehen, reflektieren auf sich selbst und die jüngere Geschichte der Gegenwartsmusik, weshalb ein kleiner Schwerunkt zu den Kompositionen Udo Zimmermanns mit zu den Tagen gehört (die NMB besuchten die Premiere der »Weißen Rose«).
Rückblicke können rein retrospektiv sein, sie sind aber auch wesentlich zur Etablierung von Werken, schaffen Ansatzpunkte für Neubewertungen und ja – sie können Erinnerungen nachgehen. Am Freitagnachmittag trafen sich Michael Karbaum, Mitbegründer des Deutschen Komponistenarchivs, sowie die Musikwissenschaftler Jörn-Peter Hiekel (HfM Dresden) und Barbara Wiermann (SLUB) mit Gastgeber Matthias Drude im Chorsaal der Hochschule für Kirchenmusik zu einem Podiumsgespräch. Der Komponist Johannes Hildebrandt war kurzfristig für Moritz Eggert (Präsident des Deutschen Komponist*innenverbandes) eingesprungen. Die Probleme von Archivierung und Zugänglichkeit konnten sie jedoch gerade einmal anreißen. Seien etwa bis dato Komponisten an einen Verlag »gebunden«, schaffen sie heute oft frei, was aber auch bedeute, daß das Material ihrer Werke nicht ohne weiteres zugänglich ist und oft nur über den Autor erreicht werden kann.
Das Deutschen Komponistenarchiv war einst ins Leben gerufen worden, um Nach- und Vorlasse von Komponisten, darunter von Unterhaltungs- und Filmmusik, zu erhalten und zu bewahren. Das ist den Initiatoren gelungen, indes: das mittlerweile geschlossene Archiv (es werden keine weiteren Komponisten aufgenommen) will eben zugänglich gemacht und aufgearbeitet werden. Das ist mit ehrenamtlichen Mitarbeitern wie im Moment nur im kleinen Maßstab möglich. Immerhin: seitens Dresdner Stadtarchiv und SLUB waren Vertreter mit offenen Ohren vor Ort, konkrete Schritte hatte an diesem Abend wohl niemand erwartet.
Dafür erklang Musik aus dem Fundus des Deutschen Komponistenarchivs (teilweise Handschriften). Allerdings mußte man sich entscheiden, ob man dem Ensemble El Perro Andaluz lauschen oder die Abendveranstaltung in Hellerau besuchen wollte, die mit einem Vorgespräch begann. Beides ging nicht, im Gespräch nachhaken war ausgeschlossen – unglücklich geplant!

Im Festspielhaus Hellerau schloß sich dann eine schöne Kontinuität gleich mehrfach an: Einerseits mit neuen Werken junger Komponistinnen, die hier (wie an der HfM) seit Jahren stark vertreten sind, mit Wilfried Krätzschmar kehrte zudem ein Komponist zurück, dessen Stücke im Festspielhaus immer wieder erklungen waren. Als vielleicht die Kontinuität bezeichnete Moritz Lobeck den Dirigenten Ekkehard Klemm, der an diesen Aufführungen mit der Elbland Philharmonie nicht nur beteiligt war, sondern sich immer wieder als Initiator, Motor und Ideengeber betätigt hatte. Etwas schade, daß das Gespräch doch ein wenig um sich kreiste und zur Selbstdarstellung geriet, statt konzentriert auf das Konzert hinzuarbeiten (schade vor allem, wenn man sich gegen den Konzertteil am Nachmittag entschieden hatte).
Mit »fermented wax. implosive sacks stain lowers« von Lauren Spiess (Absolventin der HfM Dresden) und »Meditations on Departure« von Aida Shirazi standen im Konzert Werke auf dem Programm, die nicht nur einen weiten Kosmos der Klang- und Geräuscherzeugung aufzeigten, sondern dieses Öffnen lebendig repräsentierten. Vor allem bei »fermented wax …«, das elektronische Einspielungen enthält, waren die Übergänge zum klassischen Orchester fließend. Faszinierend, welche Klänge dessen Instrumente auslösen können! Knistern und kneten, rascheln oder Maschinengeräusche oder das Pfeifen von Interferenzen – die Begegnung der Künste wurden dabei quasi abgebildet, elementare Klänge trafen auf organische Partikel.
Deutlich dialogischer offenbarte sich »Meditations on Departure«, das mit einem Cello-Zitat (Solist: Matthias Lorenz) von Bach (oder einer Verzerrung) begann, Echo und Reflexe immer wieder neu in Szene setzte. Das Geräuschhafte, etwa im Flirren und Kratzen, blieb wesentliches Element, beim Solisten wie im Orchester, das mit Glockenklang und Pizzicati meditative Untergründe schuf, Elemente in emotionalen Bögen verband.

Ekkehard Klemm hatte in den Sinfoniekonzerten der Elbland Philharmonie Sachsen bereits die ersten beiden Teile der »Gesänge für Bariton und Orchester« von Wilfried Krätzschmar uraufgeführt. Am Freitag fügte er diesen den dritten Teil und Epilog hinzu. Gleichzeitig war es die erste Aufführung des gesamten Werkes. Im Vergleich zu den Stücken der »elementaren Spurensuche« zuvor fiel die sinfonische Wucht auf, die der Komponist schon mit dem ersten Akkord beschwört, mit dem er die Zuhörer umfängt. Wie ein dichterisches Bild schien dieser Orchesterklang den Text des Gesangs zu untermalen, einen Wald oder auch um sich greifende Flammen darzustellen. Gerade im ersten Teil entsprangen dem flächigen Klang immer wieder Spannungsspitzen.

Die gesungenen Worte ergänzten dies nicht nur, waren nicht nur angefügt. Wilfried Krätzschmar hatte die Noah Seattle zugeschriebene Rede »Wir sind ein Teil der Erde« und Erich Kästners »Über das Verbrennen von Büchern«, Texte, die ihn in den letzten Jahren sehr bewegt haben, in Musik gefaßt und, damit nicht der Eindruck von Antipoden entsteht, einen eigenen im dritten Teil hinzugefügt. Mit Bariton Andreas Scheibner stand dafür ein Sänger und Sprecher erstklassiger Diktion zur Verfügung.

Zwar ist kein agitatorisches Werk entstanden, aber eines mit einem »lastenden Text«, der immer wieder mahnt, was sich durch repetierende Figuren noch verstärkt. Mit dem Ausklang des Epilogs erfährt dies zusätzlich Gewicht – durchaus fordernd für das Publikum (obwohl es ja nicht »Stellung beziehen« muß). In seiner Farbigkeit und der oft hellen, differenzierten Gestaltung wurden jedoch viele Türen der Zugänglichkeit geöffnet.Das Konzert wurde vom Deutschlandfunk aufgezeichnet und soll zu einem späteren Zeitpunkt ausgestrahlt werden.
12. April 2025, Wolfram Quellmalz